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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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zurück.«
    »Das Merkwürdige daran ist nicht«, sagte Adamsberg, »daß der Typ ein Besessener war. Sondern daß er das Kopfende des Sarges gewählt hat und nicht das Fußende. Immerhin ist am Kopfende nicht nur weniger Platz, es ist auch sehr viel unangenehmer.«
    Danglard, der noch immer seinen Nachtisch betrachtete, gab ihm stumm recht.
    »Es sei denn, die Sache war bereits in dem Sarg drin«, sagte Veyrenc. »Und der Typ hat sie nicht selbst hineingelegt, hat sich die Stelle also nicht aussuchen können.«
    »Zum Beispiel?«
    »Ein Kollier oder Ohrringe, die die Verstorbene trug.«
    »Fälle, in denen es um Schmuck geht, langweilen mich«, murmelte Danglard.
    »Seit es die Welt gibt, Capitaine, werden aus diesem Grund Grabstätten geplündert. Wir werden uns nach dem Vermögen dieser Frau erkundigen müssen. Was haben Sie dem Sterberegister entnommen?«
    »Élisabeth Châtel, unverheiratet und kinderlos, geboren in Villebosc-sur-Risle, bei Rouen«, leierte Danglard herunter.
    »Ich weiß nicht, was die Leute aus der Normandie zur Zeit haben, ich werde sie nicht los. Um wieviel Uhr kommt Ariane?«
    »Wer ist Ariane?«
    »Die Gerichtsmedizinerin.«
    »Um achtzehn Uhr.«
    Adamsberg fuhr mit dem Finger über den Rand seines Glases und entlockte ihm einen schmerzlichen Klagelaut.
    »Dieser verdammte Kuchen wird gegessen, Commandant. Außerdem müssen Sie bei den weiteren Arbeitsschritten nicht anwesend sein.«
    »Wenn Sie bleiben, bleibe ich auch.«
    »Manchmal haben Sie wirklich eine mittelalterliche Einstellung, Danglard. Sehen Sie das, Retancourt? Ich bleibe, er bleibt.«
    Retancourt zuckte mit den Schultern, und Adamsberg ließ sein Glas noch einmal gellend auf jaulen. Das Fernsehen im Café übertrug ein geräuschvolles Fußballspiel. Einen Moment lang betrachtete der Kommissar die Männer, die in allen Richtungen über den Rasen liefen, begeistert verfolgt von den Gästen des Lokals, die zum Bildschirm hin gewandt aßen. Adamsberg hatte diese Fußballsache nie begriffen. Wenn es Kerlen so sehr gefiel, einen Ball in ein Tor zu schießen, was er sehr gut verstehen konnte, wozu dann gegenüber extra eine zweite Bande von Kerlen aufstellen, die einen daran hinderte, diesen Ball in das Tor zu schießen? Als gäbe es nicht so schon genügend Kerle auf Erden, die einen ständig daran hinderten, seine Bälle dahin zu schießen, wohin es einem gefiel.
    »Und Sie, Retancourt?« fragte Adamsberg. »Bleiben Sie hier? Veyrenc jedenfalls fährt zurück. Er ist vollkommen fertig.«
    »Ich bleibe«, brummte Retancourt.
    »Und wie lange, Violette?«
    Adamsberg lächelte. Retancourt löste ihren Pferdeschwanz und band ihn wieder zusammen, dann ging sie zum WC.
    »Warum müssen Sie sie immerzu ärgern?« fragte Danglard.
    »Weil sie sich mir immer mehr entzieht.«
    »Wohin?«
    »Hin zu dem Neuen. Er ist stark, er wird sie auf seine Seite ziehen.«
    »Wenn er will.«
    »Eben, man weiß nicht, was er will. Auch darüber werden wir uns Gedanken machen müssen. Er versucht, seinen Ball irgendwohin zu schießen, aber was für einen Ball und wohin? Das ist nicht die Art Spiel, bei dem man sich überraschen lassen darf.«
    Adamsberg holte sein Notizbuch hervor, dessen Seiten aneinanderklebten, schrieb vier Namen auf und riß das Blatt heraus.
    »Sobald Sie Zeit dazu haben, erkundigen Sie sich nach diesen vier Burschen, Danglard.«
    »Wer ist das?«
    »Das sind die Typen, die Veyrenc den Schädel zerschnitten haben, als er ein Kind war. Äußerlich hat das verdammte Spuren hinterlassen, aber innerlich noch viel schrecklichere.«
    »Wonach soll ich suchen?«
    »Ich möchte nur sehen, ob es ihnen gut geht.«
    »Ist es ernst?«
    »Normalerweise nicht. Ich hoffe nicht.«
    »Sie haben mir erzählt, sie wären zu fünft gewesen.«
    »Ja, sie waren zu fünft.«
    »Und der fünfte?«
    »Was denn?«
    »Was machen wir mit ihm?«
    »Um den fünften, Danglard, kümmere ich mich selbst.«

18
    Nachdem sie die Nachtmannschaft abgelöst hatten, holten Mordent und Lamarre, Atemschutzmasken vorm Gesicht, die letzten Erdreste heraus, die in den Sarg gefallen waren. Adamsberg, der am Rand der Grube kniete, reichte die Eimer Justin. Danglard hatte sich, fünfzig Meter von den Arbeiten entfernt, auf den Stein einer hohen Grabstätte gesetzt und saß da mit übergeschlagenen Beinen wie ein englischer Lord, der sich in Gleichgültigkeit versucht. Er blieb vor Ort, genau wie er gesagt hatte, aber weit entfernt. Je beklemmender die Realität wurde, desto mehr

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