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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ihrer Aufschüttung. Da klebt eine Erdschicht ganz dicht an der anderen. Es existiert, man muß es nur ausfindig machen.«
    Mathias ließ seine Hand über die gleichförmige Oberfläche der Erde wandern. Dann schien er mit den äußersten Spitzen seiner Fingernägel an einem Phantomspalt hängenzubleiben, an dem er gleich darauf langsam entlangfuhr. Genau wie ein Blinder sah Mathias den Boden bei alledem nicht wirklich an, als hätten seine Augen ihn täuschen und seine Suche verfälschen können, bei der ihm ausschließlich die Sensibilität seiner Finger half. Stück für Stück arbeitete er die Linie eines unvollkommenen Kreises heraus, mit einem Durchmesser von 1,50 Meter, den er mit der Spitze seiner Kelle nachzog.
    »Wir haben es, Adamsberg. Ich werde die Grube selbst ausheben, um ihre Wandungen nach unten hin zu verfolgen, und deine Männer schaffen die Erde weg. So kommen wir schneller voran.«
    In einer Tiefe von achtzig Zentimetern richtete Mathias sich auf, zog sein Hemd aus und strich über die Wände des Lochs.
    »Ich habe nicht den Eindruck, daß dein Buddler irgendwas vergraben hat. Wir sind jetzt schon zu tief. Er hat versucht, an den Sarg heranzukommen. Sie waren zu zweit.«
    »Das ist richtig.«
    »Der eine grub, der andere hat die Eimer ausgeschüttet. In dieser Tiefe haben sie die Rollen getauscht. Jeder hackt anders.«
    Mathias griff sich wieder seine Kelle und versank erneut in der Grube. Man hatte sich Schaufeln und Eimer vom Wärter geborgt, und Justin und Veyrenc brachten den Aushub weg. Mathias hielt Adamsberg ein paar graue Kieselsteine hin.
    »Als sie das Loch wieder zugeschüttet haben, ist Kies vom Weg mit hineingerutscht. Wenn ein Hacker müde wird, hackt er immer schräger. Sie haben nichts vergraben in diesem Loch, nichts. Es ist leer.«
    Schweigend grub der junge Mann noch eine Stunde weiter, nur zweimal unterbrach er die Stille, indem er verkündete: »Jetzt haben sie wieder die Rollen getauscht.« Und: »Sie sind von der Spitzhacke zur kleinen Hacke übergegangen.« Endlich richtete Mathias sich auf und stützte sich mit dem Ellbogen auf den Rand des Lochs, das ihm nun bis über die Taille reichte.
    »Gemessen am Zustand der Rosen«, sagte er, »liegt der Mensch da unten noch nicht sehr lange dort.«
    »Seit dreieinhalb Monaten. Es ist eine Frau.«
    »Hier trennen sich unsere Wege, Adamsberg. Jetzt kannst du weitermachen.«
    Mathias stützte sich am Rand ab und schwang sich aus der Grube. Adamsberg warf einen Blick auf ihren Grund.
    »Du bist noch nicht am Sarg angelangt. Haben sie vorher aufgehört?«
    »Ich bin am Sarg. Aber er ist offen.«
    Die Männer der Brigade sahen sich an, Retancourt ging ein Stück vor, Justin und Danglard traten einen Schritt zurück.
    »Das Holz des Deckels ist mit der kleinen Hacke eingedrückt und herausgerissen worden. Erde ist reingefallen. Du hast mich wegen der Erde gerufen, nicht wegen der Leiche. Ich will das nicht sehen.«
    Mathias steckte seine Kelle wieder ein und wischte sich seine großen Hände an der Hose ab.
    »Der Onkel erwartet dich immer noch zu einem Abendessen«, sagte er zu Adamsberg, »weißt du das?«
    »Ja.«
    »Wir haben keine Knete mehr. Sag Bescheid, wenn du kommst, dann geht Marc ein Fläschchen und was Gutes zum Essen klauen. Magst du Kaninchen? Oder vielleicht Krabben? Wäre dir das recht?«
    »Das wäre toll.«
    Mathias gab dem Kommissar die Hand, lächelte flüchtig den anderen zu und ging, sein Hemd neben sich her tragend, davon.

17
    Mit verschlossenem, bleichem Gesicht starrte Danglard auf sein Dessert. Er hatte einen Horror vor Exhumierungen und anderen Scheußlichkeiten, die der Beruf mit sich brachte. Daß so ein besessener Ausgräber ihn zwang, einen offenen Sarg anzuschauen, brachte ihn an den Rand des seelischen Zusammenbruchs.
    »Essen Sie den Kuchen, Danglard«, beharrte Adamsberg.
    »Sie werden Zucker brauchen. Trinken Sie Ihren Wein.«
    »Man muß doch verdammt besessen sein, um irgendwas in einen Sarg zu stecken«, brummelte Danglard.
    »Hineinzulegen oder wieder herauszuholen.«
    »Das ist unwichtig. Es gibt doch wohl genügend Verstecke auf dieser Welt, um dieses hier zu umgehen, oder?«
    »Es sei denn, der Typ wurde überrascht. Es sei denn, er mußte das Ganze in den Sarg stecken, bevor der Deckel zugeschraubt wurde.«
    »Muß schon was ziemlich Wertvolles sein, wenn man den Mumm hat, es drei Monate später wieder da rauszuholen«, meinte Retancourt. »Kohle oder Drogen, wir kommen immer wieder darauf

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