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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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übte Danglard sich in Eleganz, in Selbstbeherrschung, ja kultivierte sogar eine gewisse Verächtlichkeit. Der Commandant hatte stets auf Kleidung im englischen Stil gesetzt, mit der er sein mangelhaftes Aussehen zu kompensieren suchte. Sein Vater – ganz zu schweigen von seinem Großvater –, Bergarbeiter in Le Creusot, hätte ein derartiges Auftreten gehaßt. Aber sein Vater hätte sich eben mehr Mühe geben müssen, als er ihn erschuf, dann wäre er vielleicht weniger häßlich geworden, er erntete nur, was er, im engeren Sinn, auch gesät hatte. Danglard bürstete sich das Revers ab. Wenn er wie der Neue ein zartwangiges, schiefes Lächeln besessen hätte, hätte er Retancourt der Adamsbergschen Anziehungskraft entrissen. Zu dick, sagten die anderen Männer in der Brigade, nicht praktikabel, fügten sie grausam hinzu, wenn sie in der Brasserie der Philosophen saßen. Danglard jedoch fand sie vollkommen.
    Von seinem Beobachtungsposten aus sah er, wie die Gerichtsmedizinerin ihrerseits über eine Leiter in die Grube hinabstieg. Sie hatte einen grünen Overall über ihre Kleidung gezogen, legte aber keinen Wert darauf, wie Romain es getan hätte, eine Atemschutzmaske zu tragen. Diese Gerichtsmediziner versetzten ihn stets in Erstaunen, wie sie fast immer heiter daherkamen, Toten unbekümmert die Schulter tätschelten, manchmal kindisch und fröhlich waren, während sie doch permanent mit Scheußlichkeiten Umgang hatten. Aber in Wahrheit, so analysierte Danglard, waren sie wohl erleichtert darüber, daß sie mit der Angst der Lebenden nichts zu schaffen hatten. In der Sparte der Totenmedizin konnte man durchaus große Ruhe finden.
     
    Inzwischen war es dunkel geworden, und Dr. Lagarde beendete ihre Arbeit im Licht von Scheinwerfern. Danglard sah zu, wie sie ohne Mühe die Leiter wieder heraufstieg, ihre Handschuhe auszog, sie lässig auf den ausgehobenen Erdhaufen warf und zu Adamsberg trat. Von weitem schien es ihm, Retancourt würde schmollen. Die Vertrautheit, die zwischen dem Kommissar und der Gerichtsmedizinerin herrschte, ärgerte sie sichtlich. Um so mehr, als der Ruf von Ariane Lagarde kein geringer war. Und sie sogar im erdverschmierten Overall noch sehr schön war. Adamsberg nahm seine Schutzmaske ab und führte die Ärztin auf die Rückseite des Grabes.
    »Jean-Baptiste, da ist nichts weiter drin als der Kopf einer Frau, die vor drei oder vier Monaten gestorben ist. Es hat keine Verstümmelungen gegeben, keine Gewaltanwendungen nach dem Tod. Alles ist noch da, und alles ist ganz. Kein Wort mehr, kein Wort weniger. Ich rate dir davon ab, sie zur Untersuchung schaffen zu lassen, man wird nichts weiter als eine Leiche finden.«
    »Ich will das verstehen, Ariane. Die Grabschänder haben einen hohen Preis dafür bezahlt, daß sie dieses Grab aufgebrochen haben. Man hat sie ermordet, um sie zum Schweigen zu bringen. Warum?«
    »Jage nicht dem Wind hinterher. Die Wünsche von Verrückten sind für unsere Augen nicht immer klar zu erkennen. Ich werde die Erde mit der unter den Fingernägeln von Diala und La Paille vergleichen. Hast du Proben für mich entnommen?«
    »Alle dreißig Zentimeter.«
    »Sehr gut. Du solltest was essen und dann schlafen gehen, glaub mir. Ich bringe dich nach Hause.«
    »Der Mörder wollte irgendwas von dieser Leiche holen, Ariane.«
    » Sie wollte es. Es ist eine Frau, verdammt noch mal.«
    »Nehmen wir’s an.«
    »Ich bin ganz sicher, Jean-Baptiste.«
    »Die Größe des Angreifers allein genügt nicht.«
    »Ich habe noch andere Indizien, die darauf hinweisen.«
    »Nehmen wir’s an. Die Mörderin wollte irgendwas von dieser Leiche holen.«
    »Dann wird sie’s auch genommen haben. Und hier verläuft sich die Spur im Sand.«
    »Wenn die Tote Ohrringe getragen hätte, würdest du das noch sehen? An den durchstochenen Ohrläppchen?«
    »Jean-Baptiste, zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Ohren mehr.«
    Einer der beiden Scheinwerfer explodierte plötzlich in der Nacht, eine kleine Rauchwolke entwich, und alle schienen dies als ein Zeichen zu deuten, daß das makabre Schauspiel zu Ende ging.
    »Sollen wir abbauen?« fragte Voisenet.

19
    Für Adamsbergs Geschmack, der sich, den Kopf gegen die Scheibe gelehnt, im Auto lieber sanft durchschaukeln ließ, fuhr Ariane ein wenig ruppig. Planlos suchte sie auf den Avenuen nach einem Restaurant, wo sie zu Abend essen konnten.
    »Verstehst du dich gut mit dem dicken weiblichen Lieutenant?«
    »Das ist kein dicker weiblicher Lieutenant, sondern

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