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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Kothäufchen auf die Papierstapel setzte, daß Commandant Danglard seinen Wein in einem Schrank im Keller versteckte, daß auf den Tischen Papiere herumlagen, die mit den Ermittlungen nicht das geringste zu tun hatten, Immobilienanzeigen, Wettlisten, Artikel über Ichthyologie, private Vorwürfe, geopolitische Zeitschriften, ein Spektrum in allen Regenbogenfarben, soweit er das in einem Monat überblickt hatte. Dieser Zustand schien keinen zu stören, außer vielleicht Lieutenant Noël, einen brutalen Kerl, der niemanden nach seinem Geschmack fand. Und der schon am zweiten Tag eine beleidigende Bemerkung über seine Haare gemacht hatte. Vor zwanzig Jahren hätte er deswegen geheult, aber heute war es ihm vollkommen egal, oder doch beinahe. Lieutenant Veyrenc verschränkte die Arme und lehnte seinen Kopf an die Wand. Unverrückbare Kraft, in kompakte Materie eingerollt.
    Was den Kommissar selbst betraf, so hatte er ihn nur mit Mühe erkannt. Von weitem sah Adamsberg nach nichts aus. Er war diesem kleinen Mann schon mehrmals begegnet, sehniger Körper und langsame Bewegungen, ein seltsam zusammengestückeltes Gesicht, zerknitterte Sachen und ein ebensolcher Blick, unvorstellbar, daß es sich dabei um einen der berühmtesten Repräsentanten der Kripo handelte, im Guten wie im Schlechten. Selbst seine Augen schienen ihm zu nichts dienlich zu sein. Seit dem ersten Tag wartete Veyrenc auf sein offizielles Gespräch mit ihm. Aber Adamsberg, versunken in irgendwelchen Strömen tiefsinniger oder auch leerer Gedanken, hatte ihn nicht bemerkt. Es kam vor, daß ein volles Jahr verstrich, ohne daß der Kommissar gewahr wurde, daß sein Team ein neues Mitglied zählte.
    Die anderen Beamten allerdings hatten den großen Vorteil, den die Ankunft eines Neuen darstellte, sofort genutzt. Deshalb auch saß er nun in diesem Kabuff, auf dem Treppenabsatz eines siebten Stockwerks, und führte einen Überwachungsjob aus, bei dem man vor Langeweile umkam. Der Dienstvorschrift nach hätte er regelmäßig abgelöst werden müssen, und so war es anfangs auch gewesen. Dann hatte die Ablösung immer schlechter funktioniert, der eine bedauerte unter dem Vorwand, er werde schnell trübsinnig, der andere schlief angeblich ein, wieder ein anderer neigte zu Klaustrophobie, zu Ungeduld, hatte ein Rückenleiden, so daß er jetzt allein von morgens bis abends hier auf einem Holzstuhl Wache hielt.
    Veyrenc streckte seine Beine aus, so gut er konnte. Das war das Los aller Neuen, und es machte ihm nichts aus. Mit dem Bücherstapel zu seinen Füßen, dem Taschenaschenbecher in seiner Jacke, dem Ausblick auf den Himmel durch das Oberlicht und seinem funktionstüchtigen Füllfederhalter hätte er hier beinahe glücklich leben können. Geist in Ruhestellung, beherrschte Einsamkeit, Ziel erreicht.

5
    Dr. Lagarde hatte die Dinge kompliziert, indem sie ein klein wenig Mandelsirup verlangt hatte, den sie ihrem doppelten Café crème beimischen wollte. Aber schließlich waren die Getränke auf ihren Tisch gelangt.
    »Was ist mit Dr. Romain los?« fragte sie, während sie die dickliche Flüssigkeit verrührte.
    Adamsberg breitete die Hände in einer Geste der Unkenntnis aus.
    »Er hat hysterische Launen, Zustände. Wie eine Frau im vorigen Jahrhundert.«
    »Soso. Und wie kommst du zu dieser Diagnose?«
    »Durch Romain selbst. Keine Depression, nichts Pathologisches. Aber er schleppt sich von einem Sofa zum andern, zwischen Nachmittagsschlaf und Kreuzworträtsel.«
    »Soso«, wiederholte Ariane und runzelte die Stirn. »Romain ist doch einer von den ganz Aktiven und ein äußerst tüchtiger Gerichtsmediziner dazu. Er mag seine Arbeit.«
    »Ja. Aber er hat diese Zustände. Wir haben mit der Entscheidung, ihn zu ersetzen, auch lange gezögert.«
    »Und wieso hast du ausgerechnet mich geholt?«
    »Ich habe dich nicht geholt.«
    »Man hat mir gesagt, die Pariser Brigade würde unbedingt nach mir verlangen.«
    »Ich war’s nicht, aber du kommst wie gerufen.«
    »Um den Drogenfahndern deine beiden Kerle wegzunehmen.«
    »Mortier zufolge handelt es sich nicht um zwei Kerle. Es handelt sich um zwei arme Würstchen, von denen einer ein Schwarzer ist. Mortier ist der Chef der Drogenfahnder, wir haben keine besonders gute Beziehung zueinander.«
    »Weigerst du dich deshalb, ihm die Leichen zu überlassen?«
    »Nein, ich jage keinen Leichnamen hinterher. Aber es fügt sich halt, daß diese beiden für mich bestimmt sind.«
    »Das hast du mir schon gesagt. Erzähl.«
    »Wir

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