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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Manneskraft vermischt und dadurch von ihr befruchtet wird, um letztlich die Ewigkeit zu erschaffen.«
    »Aber Blut ›dextra‹?«
    »Heißt ›rechter Hand‹«, sagte Danglard mit ausweichender Geste.
    »Seit wann gibt es rechts Blut und links Blut?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Danglard und schenkte eine Runde Wein aus.
    Adamsberg hatte sein Kinn auf die Hände gestützt.
    »All das paßt nicht zum Aufbrechen eines Grabes«, sagte er. »Das Blut, das Geschlecht, das Herz, all das könnte man auch der noch frischen Leiche einer Jungfrau entnehmen. Das aber ist nicht geschehen. Und drei Monate nach dem Tod ist die Entnahme von Blut oder irgendeines vitalen Teils natürlich unmöglich.«
    Danglard verzog das Gesicht. Er hatte Gefallen an der intellektuellen Wendung, die die Diskussion nahm, doch ihr Inhalt ekelte ihn an. Das schnöde Sezieren des Heilmittels verleidete ihm das große, einst heißgeliebte De sanctis reliquis fast gänzlich.
    »Was bleibt im Grab zurück, das unseren Engel interessieren könnte?« fing Adamsberg wieder an.
    »Die Nägel, die Haare«, schlug Justin vor.
    »Dafür hätte sie die Frauen nicht umbringen müssen. Das kann auch von lebenden Personen abgeschnitten werden.«
    »Die Knochen bleiben in einem Grab zurück«, überlegte Lamarre.
    »Zum Beispiel die Beckenknochen?« sagte Justin. »Die Schale der Fruchtbarkeit? Als Ergänzung zur ›Manneskraft‹?«
    »Das ergäbe einen Sinn, Justin, doch nur das Kopfende der Särge ist geöffnet worden, und die Grabschänderin hat keinen Knochen mitgenommen, nicht mal einen Splitter.«
    »Sackgasse«, sagte Danglard. »Wir versuchen’s weiter im Text.«
    Veyrenc kam folgsam wieder in Gang.
    » … welches du zerstößest mitsamt dem Kreuz, das im Ewigkeitssproß lebt, adiacens in gleicher Menge … «
    »Wenigstens das ist klar«, meinte Mordent. »Das Kreuz, das im Ewigkeitssproß lebt, ist das Kreuz Christi.«
    »Ja«, sagte Danglard. »Bruchstücke des sogenannten echten Kreuzes sind zu Tausenden als geheiligte Reliquien verkauft worden. Calvin zählt mehr davon, als dreihundert Männer tragen könnten.«
    »Was uns ein gutes Startfenster liefert«, sagte Adamsberg. »Einer von Ihnen sollte nachforschen, ob seit der Flucht der Krankenschwester ein Reliquiengefäß mit Splittern des Kreuzes geplündert worden ist.«
    »In Ordnung«, sagte Mercadet und schrieb sich das auf.
    Wegen seiner krankhaften Schläfrigkeit wurden Aufträge für langwierige Recherchen in irgendwelchen Dateien oft Mercadet anvertraut, denn Ermittlungen im Außendienst waren ihm so gut wie unmöglich.
    »Man sollte auch in Erfahrung bringen, ob sie in der Gegend von Le Mesnil-Beauchamp praktiziert hat, vielleicht unter einem anderen Namen als Clarisse Langevin und vielleicht vor langer Zeit. Nehmen Sie ihr Foto mit, zeigen Sie es.«
    »In Ordnung«, wiederholte Mercadet mit derselben kurzlebigen Tatkraft.
    »Clarisse«, flüsterte Danglard dem Kommissar zu, »ist Ihre blutrünstige Nonne. Die Krankenschwester heißt Claire.«
    Mit verhangenem, erstauntem Blick wandte Adamsberg sich Danglard zu.
    »Ja«, sagte er. »Seltsam, daß ich sie verwechselt habe. Wie zwei halbreife Nußkerne, die in derselben alten Schale liegen.«
    Mit einer Handbewegung forderte Adamsberg Veyrenc auf, fortzufahren.
    » … wobei all dies dem Kreis des Heiligen entstammen soll … «
    »Das ist auch einfach«, sagte Danglard selbstsicher. »Es handelt sich um das geographische Gebiet, das durch den Einflußbereich der Reliquien des Heiligen bestimmt wird. Erst die Einheit des Ortes schafft zwischen den verschiedenen Bestandteilen des Heilmittels eine Verbindung.«
    »Man ist also der Meinung, daß ein Heiliger einen Wirkungsbereich hat?« fragte Froissy. »Wie ein Sender?«
    »Das steht nirgends so geschrieben, aber es ist das allgemeine Gefühl. Deshalb nehmen die Leute ja auch strapaziöse Pilgerfahrten auf sich, sie glauben, der Einfluß des Heiligen wird stärker, je näher man ihm kommt.«
    »Demnach müßte sie sich also sämtliche Zutaten für das Rezept in der Gegend von Le Mesnil beschaffen«, sagte Voisenet.
    »Was durchaus logisch ist«, sagte Danglard. »Im Mittelalter war es für das Gelingen einer Arznei entscheidend, daß die einzelnen Bestandteile zusammenpaßten. Ebenso wurde die Frage des Klimas für die Ausgewogenheit der Mischungen berücksichtigt. Der Knochen eines normannischen Heiligen wird sich folglich leichter mit dem Knochen einer normannischen Jungfrau und dem eines

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