Die dritte Sünde (German Edition)
nicht, dass sie es bitter bereut, auch ohne dass du sie dafür beinahe totschlägst?«
Eigentlich hatte Martha erwartet, dass der Mann nun Reue zeigte, aber sein Gesicht verhärtete sich.
»Was geht’s dich an, Weib? Es ist meine Sache, was ich mit meinen Kindern tue. Sie hat es mehr als verdient.«
»Ja, das ist es wohl … deine Sache«, sagte Martha gedehnt. Hier war heute nichts auszurichten. Das Mädchen tat ihr jetzt schon leid. Hoffentlich würde ihr die Familie die Schuld am Unglück Billies nicht bis ans Ende ihrer Tage vorhalten. Diese Möglichkeit bestand immerhin. Armes Ding! Ohne Gruß verließ sie den verbitterten und gebrochenen Mann, um im Stall nach Cathy zu sehen. Den Kessel mit dem heißen Wasser nahm sie mit.
****
Sie fand das Mädchen in einer Nische in der Einfriedung der Schafe liegend. Es hatte sich an eines der Tiere gekuschelt und war in einen unruhigen, durch Stöhnen unterbrochenen Schlaf gefallen. Mit einem schnellen Blick sah sie, was das Kind hatte erdulden müssen. Ärgerlich schnalzte sie mit der Zunge. War der Mann wahnsinnig geworden? Der gesamte Rücken und Teile der Oberschenkel des Mädchens waren voller Wunden, die von der Gürtelschnalle herrührten, wie Finley ihr berichtet hatte.
An den Stellen, die sie sehen konnte, da sie nicht von der mit blutigen Flecken getränkten Kleidung bedeckt waren, hatten sich außerdem große Blutergüsse gebildet, die teilweise ineinander übergingen. Auch der Hinterkopf des Mädchens war nicht verschont geblieben. Im üppigen rotbraunen Haar klebte getrocknetes Blut. Wenigstens hatte die Schnalle das noch unreife, aber die spätere Schönheit bereits ankündigende Gesicht des Mädchens nicht getroffen. Hoffentlich würden nicht allzu viele Narben bleiben. Bestimmt aber würde sie hier etliche Salbentöpfe benötigen. Sie beugte sich zu dem Kind hinunter und schob das dünne Wollkleidchen nach oben. Der magere Mädchenkörper erschauerte in der plötzlichen Kälte, als auch das Schaf sich gestört erhob und mit einem empörten Blöken zur anderen Seite des Verschlags drängte. »Hab keine Angst, Mädchen«, sagte sie sanft, als Cathy, die mit einem leisen Schrei erwacht war, sich furchtsam noch tiefer in die mit Stroh gefüllte Nische zurückzog, in die sie sich verkrochen hatte, »ich tu dir nichts. Ich will dir nur helfen. Komm, lass mich mal sehen.« Zuerst zögerte das Mädchen noch, aber das freundliche Gesicht, das sich Martha bemühte aufzusetzen, beruhigte das Kind wohl endlich. Folgsam zog sie das Kleid aus und Martha entfuhr ein fassungsloses Japsen. Es war weitaus schlimmer, als sie gedacht hatte. Beinahe der ganze Rücken des Kindes war blaurot von Blutergüssen bis hinunter zur rechten Hüfte. Sie zählte ein gutes Dutzend blutige Wunden, etliche davon so tief, dass es sicher kräftige Narben geben würde. Da das Kind bäuchlings im Schlamm gelegen hatte, als der Vater es schlug, war hauptsächlich die Rückseite des Körpers betroffen. Sie brachte das Mädchen dazu, sich wieder ins Stroh zu legen, befeuchtete die sauberen Baumwolltücher, die sie mitgebracht hatte, mit dem inzwischen lauwarm gewordenen abgekochten Wasser und reinigte zunächst die Wunden gründlich, dann gab sie etwas von der Tinktur aus Akelei und frischem Acker-Schachtelhalm darauf und verband dann die tiefsten Wunden. Sie hoffte, dass sich die Verletzungen nicht entzündeten, denn das konnte zu einer Blutvergiftung führen. Aber sie vertraute den Heilkräften der bewährten Tinktur. Größere Sorge bereitete ihr der seelische Zustand des Mädchens. Cathy wirkte völlig verstört. Die Kleine tat ihr herzlich leid. Aber was konnte sie tun, außer ihr mit ihren Kenntnissen in Kräuterkunde zu helfen? Sie hatte viele tragische Geschichten und schlimme Familienverhältnisse erlebt in all den Jahren, die Thomsons bildeten da keine Ausnahme. Sie hoffte, dass sich alles mit der Zeit wieder einrenken und Wycliff Thomson so vernünftig sein würde, seiner Tochter den Unfall seines Sohnes zu vergeben. Wie hätte sich Cathy auch gegen die Tochter von Mr de Burgh zur Wehr setzen sollen? Das war undenkbar. Ebenso gut hätte sie versuchen können, die Wasser des Wylye [2] mit bloßen Händen aufzuhalten. Ein völlig sinnloses Unterfangen. Und dass der kleine Billie verunglückt war, war wirklich tragisch, aber eben Schicksal. So unruhige Kinder wie dieser kleine Kerl wurden oft nicht alt, das hatte sie schon zu oft erlebt. Wer sollte sich auch ständig um sie kümmern?
Weitere Kostenlose Bücher