Die dritte Sünde (German Edition)
älteste Tochter, dass sie jede Achtung verloren hatte. Eine seltsame Stille und Sprachlosigkeit hatte sich über die Familie gelegt. Cathy sah in den fremd gewordenen Augen des Vaters, dass er ihr die Schuld daran gab. Und weil sie seinen Blick nicht mehr ertragen konnte, ging sie ihm aus dem Weg, wo sie nur konnte und hatte somit auch ihre Schlafstatt in den Stall verlegt. Wenigstens gaben ihr die gleichmütigen Tiere in der Nacht etwas von der Wärme, nach der sie sich sehnte.
Etwa drei Wochen später, es war ein strahlender Tag im Mai, verlangte es Miss Isobel de Burgh nach einem Ausritt. Sie hielt es einfach nicht mehr aus, ihre Nachmittage mit Miss Hunter im Damensalon zu verbringen. Dort hatte sie sich fortwährend den Büchern, die ihr Miss Hunter als passende und lehrreiche Lektüre gestattete, oder aber den öden Stickereiarbeiten zu widmen. Sie war zwar schon am Morgen, wie üblich, ein wenig ausgeritten, natürlich in Begleitung von Frederick, dem altgedienten Stallmeister ihres Vaters, aber nun wollte sie den herrlichen Tag nutzen und einige Stunden allein zu Pferde verbringen. Miss Hunter gewährte es nach einigem – wie immer nutzlosem – Widerspruch mit säuerlichem Gesicht. Diese zog es vor, in der Kutsche zu fahren, aber das war der energiesprühenden Isobel viel zu langweilig. Außerdem hätte sie eine Kutschfahrt ja nicht von Miss Hunter befreit. Gegen deren erbitterten Widerstand hatte Isobel auch ihr neues Reitgewand angelegt, das ihr der Vater zu ihrem dreizehnten Geburtstag vor ein paar Tagen geschenkt hatte (zusammen mit allerlei Spielzeug, das sie eigentlich längst nicht mehr interessierte – ihr Vater hatte wohl noch nicht bemerkt, dass sie der Kinderstube schon entwachsen war). Nun setzte sie sich, hilfreich hochgehoben von Frederick, auf ihren zierlichen Braunen und trabte zufrieden mit sich und der Welt die busch- und heckengesäumten Felder entlang, die Whitefell umgaben.
Anfang des 18. Jahrhunderts hatte Whitefell zusammen mit Wilton House, dem Sitz der Branfords, zum Besitz des Earls of Branford gehört, aber dann war das Herrenhaus mit dem nicht unerheblichen Landbesitz durch komplizierte Erbfolgen den de Burghs zugefallen, dem Großvater ihres Vaters, um genau zu sein. Landbesitz war, wie ihr Vater ihr erklärt hatte, nicht an den Peerstitel gebunden. Ihr Vater hatte zwar selbst keinen Titel – anders als der Earl, den sie immerhin Onkel nennen durfte –, war aber sehr angesehen und auch wohlhabend, fast ebenso wohlhabend wie sein Vetter, der Earl. Das Recht auf den Titel war in der Linie der Branfords geblieben. Die beiden Söhne des Earls und die zwei Töchter waren längst erwachsen und zum Teil schon verheiratet. Keine sehr unterhaltsame Verwandtschaft, zumal die Töchter langweilige und zudem hässliche Geschöpfe waren, besonders die ältere der beiden, Lady Florence, eine fette Kuh, die sie nicht ausstehen konnte. Warum konnte der Earl nicht auch noch ein Kind in ihrem Alter haben, das ebenso viel Esprit hatte wie sie selbst?
Auch das Städtchen Wilton hatte leider außer einer schwächelnden Webindustrie nicht viel zu bieten, und Salisbury, die schöne Collegestadt mit dem geschäftigen Markt und der überaus beeindruckenden Kathedrale, war zu weit entfernt für einen kurzen Besuch. Auch war sie noch nicht in die Gesellschaft eingeführt und deshalb verboten sich etwaige selbstgetätigte Besuche von allein. Sie konnte den Tag ihres gesellschaftlichen Debüts kaum erwarten, würde dies doch der Tag sein, an dem sie der lästigen Aufsicht von Miss Hunter endlich entfliehen konnte. Miss Hunter war zu Isobels Leidwesen der einzige Punkt, bei dem ihr Vater hart blieb. Auf ihre tränenreichen Klagen und Bitten hatte er ihr unmissverständlich erklärt, dass Miss Hunter auf Empfehlung des Earls of Branford eingestellt worden sei. Ihre Qualifikationen waren von seiner Lordschaft besonders lobend hervorgehoben worden und allein deshalb war ihre weitere Beschäftigung auf Whitefell nicht diskutierbar.
Isobel schnaubte ungehalten. Was bei Miss Hunters Erziehungskünsten herauskam, konnte man ja ohne Mühe an Lady Florence und ihrer fast ebenso enervierenden Schwester Lady Mary-Anne sehen. Sie seufzte tief. Man hatte es nicht leicht als einziges Kind auf Whitefell. Wahrscheinlich würde sie früh an schrecklicher Langeweile sterben. Ihr reger Geist malte sich flugs eine Szenerie aus, in der ihr Vater, nachdem er Miss Hunter mit rüden Worten vor die Tür gesetzt hatte,
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