Die dritte Sünde (German Edition)
Schluchzen über, das sie regelrecht schüttelte. »Das verstehst du nicht … Ich kann sie einfach nicht verlassen … ich muss Billie beschützen.«
Eine verwirrende Mischung aus Zorn und Mitleid stieg in ihm auf. »Nein, das verstehe ich wirklich nicht, Cathy! Sei doch nicht dumm! Billie kann schon allein auf sich aufpassen.«
Die Antwort war nur noch heftigeres Schluchzen. Ihr hilfloses Weinen schnitt ihm ins Herz wie eine Klinge. Er ertrug ihr Leid einfach nicht. Erneut umfing er sie. Sie wehrte sich kurz, aber dann ergab sie sich seiner Nähe. Schließlich beruhigte sie sich unter seiner sanften Berührung langsam wieder und schlief irgendwann erschöpft in seinen Armen ein. Aaron betrachtete lange ihr blasses Gesicht mit den hohen Wangenknochen, das er so liebte, das leise Zucken ihrer Augenlider im Schlaf … und dann fasste er einen Entschluss.
Whitefell House, Wiltshire, 11. August 1838
Kapitel 43
»Sir, ich muss in dieser Angelegenheit ernsthaft protestieren. Mir obliegt die Haushaltsführung und damit auch das Wohl und Wehe der Hausangestellten. Es geht nicht an, dass es, was immer auch der Grund dafür gewesen sein mag, zu solchen Züchtigungen kommt.« Mrs Branagh stand hochaufgerichtet im Salon, ihre Miene drückte helle Empörung aus. »Cathy ist noch immer nicht in der Lage, ihren Aufgaben bei Mrs Havisham nachzukommen. Ich musste es selbst übernehmen, da sich die Mägde weigerten. Das ganze Haus befindet sich in Aufregung!«
Mr Havisham, der am späten Nachmittag von seiner Reise nach Portsmouth zurückgekehrt war, seufzte und goss sich noch einen Gin ein. Mrs Branagh hatte nach dem Dinner um eine dringende Unterredung mit den Herrschaften ersucht und ihm in dürren Worten von der Auseinandersetzung seiner Frau mit ihrer Zofe berichtet. Gewiss, Mrs Branagh hatte nur zu recht: das Ganze war in der Tat ein ungeheuerlicher Vorgang. Dennoch schien es ihm im Augenblick wichtiger, die Integrität seiner jungen, offenbar sehr unbeherrschten Gattin gegenüber den Hausangestellten zu wahren. »Wird die Zofe denn in absehbarer Zeit ihren Dienst wieder aufnehmen können, oder muss jemand anderes gefunden werden?«, fragte er in sachlichem Tonfall, wohl wissend, dass dieser Punkt Mrs Branaghs Sorgen noch verschärfen würde. Es war mitnichten in ihrem Interesse, dass die misshandelte junge Frau auch noch entlassen wurde. Mrs Branagh trat folgsam in die Falle, die er ihr gestellt hatte, und beteuerte: »Sicher, ich denke doch! Es geht ihr schon besser. Sie wird wohl morgen wieder arbeiten können, wenn sie noch einige Tage etwas geschont wird.«
»Nun gut, dann scheint der Vorfall ja nicht ganz so dramatisch zu sein, wie Sie mich glauben machen wollten. Die Angestellten sollten sich hüten, die Sache so aufzubauschen. Ich schätze das nicht.«
Mrs Branagh zog die Augenbrauen zusammen und blickte ihn zornig an. »Ich denke, Sir, die Sache ist im Gegenteil schlimm genug. Ich habe so etwas noch nicht erlebt!«
»Tatsächlich?« Havisham heuchelte blankes Erstaunen. »Nun, Mrs Branagh, wenn Sie sich mit der Situation überfordert fühlen, steht es Ihnen natürlich frei, sich ein leichteres Betätigungsfeld andernorts zu suchen.«
Erwartungsgemäß sank die Empörung der Haushälterin auf ein deutlich geringeres Maß zusammen. »Ich denke nicht, dass das nötig sein wird, Sir!«, murmelte sie verunsichert.
»Das freut mich zu hören«, meinte der Hausherr und lächelte breit. »Sicher wird es einen nachvollziehbaren Grund für die Auseinandersetzung, die Mrs Havisham mit der Zofe hatte, geben. Vermutlich hat sie sich über sie geärgert, wiewohl ich natürlich auch nicht glücklich bin über den Verlauf der Angelegenheit. Wir sollten meiner Gattin Gelegenheit geben, selbst dazu Stellung zu nehmen. Isobel, meine Liebe, was hast du dazu zu sagen?«
Er wandte sich seiner Gattin zu, die sichtlich unangenehm berührt in einem Sessel Platz genommen hatte. Er hoffte, dass diese eine gute Begründung zum Besten geben würde, unabhängig davon, ob es der Wahrheit entsprach. Aber es war wichtig, die Schuld der Zofe bei dem Vorfall herauszustreichen. Seine Gattin enttäuschte ihn nicht. War sie auch äußerst unbeherrscht, so war sie doch nicht dumm. »Cathy hat sich sehr aufsässig mir gegenüber benommen. Ich habe sie zurechtgewiesen und da ist sie regelrecht frech geworden. Sie wissen ja, Mrs Branagh, dass Cathy lange meine Spielgefährtin war. Offenbar hat sie noch Schwierigkeiten, sich in ihre neue Stellung
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