Die dritte Sünde (German Edition)
Mrs Havisham jetzt einen Auftrag, was ihn aber nicht davon abhielt, in den höchsten Tönen von ihr zu schwärmen und strikt zu behaupten, dass Mrs Havisham seine Fähigkeiten als Laufbursche und als verschwiegener Vertrauter schätzte. Aaron hütete sich, dem Kind zu widersprechen, obwohl es ihm auf der Zunge lag. Er kannte eben diese Mrs Havisham, die Herrin von Whitefell, leider nur zu gut und wusste genau, dass ihr nichts an einem Bauernkind liegen konnte, das zudem noch verkrüppelt war. Besonders Billies felsenfeste Überzeugung, der Vertraute Isobels zu sein, schürte inzwischen auch Aarons Misstrauen. Als er Billie jedoch darauf ansprach, schüttelte dieser nur seinen Kopf, lächelte geheimnisvoll und meinte, das würde auf keinen Fall von ihm verraten werden, lieber bisse er sich die Zunge ab. Wahrscheinlich hatte Cathy doch recht damit, sich Sorgen zu machen.
Weit mehr Gedanken machte sich Aaron allerdings inzwischen um Cathy selbst. Eine beängstigende Starre und Schweigsamkeit hatte sich über sie gelegt, die ihm große Sorge bereitete und die er nicht zu durchdringen vermochte. Er hatte zunehmend die Furcht, dass ihre Seele Schaden nehmen, dass sie sich vielleicht sogar irgendwann etwas antun könnte. Wiederholt hatte er versucht, sie zu einem Gespräch zu bewegen, hatte gehofft, sie aus dieser scheinbaren Versteinerung herauszuholen und sei es auch nur für einige sorglose Momente, doch es war ihm nicht gelungen. Sie senkte nur den Kopf und schwieg. Er wusste sich bald keinen Rat mehr. Die anderen Bediensteten begannen bereits, über sie zu tuscheln und auch Mrs Branagh zog immer öfter ungehalten die Augenbrauen zusammen, wenn Cathy, ohne sich an den Gesprächen der anderen zu beteiligen, still bei Tische saß. Doch immerhin gab ihr Fleiß keinen Grund zu Beanstandungen. Allein Billie vermochte Cathy aus ihrer inneren Erstarrung zu lösen. War er auf Whitefell, dann wurde sie lebendiger, sprach mit ihm oder versuchte es wenigstens, doch gerade er stieß sie zurück. Aaron konnte es kaum noch ertragen zu sehen, wie sehr sie diese Zurückweisung quälte, und dennoch ließ sie nicht davon ab, es zu versuchen – gerade wie er selbst nicht davon abließ, einen Weg zu Cathys in Trauer und Angst eingefrorenem Herzen finden zu wollen.
»Genug jetzt, Billie. Steig ab! Morgen kannst du wieder kommen, wenn dein Vater dich gehen lässt.« Maulend sprang der Junge vom Rücken des Pferdes, lief dann aber eilig über die Wiesen nach Hause. Aaron ging über die Weide, nahm das Pferd beim Zügel und führte es zurück zu den Stallungen. Da sah er Isobel über den Hof kommen in Richtung Stall. Er seufzte, ahnte er doch, was sie im Stall wollte. Mr Havisham, so hatte Mrs Branagh am Morgen beim Gesindefrühstück verkündet, würde am Abend aus London zurückkehren. Offenbar hatte seine untreue Gattin nicht im Sinn, die letzten Stunden bis zu dessen Rückkehr ungenutzt verstreichen zu lassen.
Kapitel 47
»Wirklich ein prächtiges Anwesen, sehr ansprechend! Und dieser markante weiße Stein! Das sieht man wirklich nicht alle Tage.« Mr Green sah recht beeindruckt aus den regenverschleierten Fenstern der Kutsche. Trotz des schlechten Wetters und des trüben Lichts am späten Nachmittag bot Whitefell einen grandiosen Anblick. Gepflegte Weiden und Wälder umgaben das Herrenhaus wie ein samtenes Tuch, obwohl dieses Tuch wegen der schlechten Witterung an diesem Tag eher grau wirkte. In Havisham wallte Besitzerstolz auf und eine fast diebische Freude darüber, dass es ihm gelungen war, Green in Erstaunen zu versetzen. Es war ihm wichtig, dass der Mann erfuhr, mit wem er es zu tun hatte und welches Potenzial, auch an Macht und Einfluss, Havisham zu bieten hatte. Gut auch, dass die Renovierung Whitefells inzwischen vollständig abgeschlossen war. MacInroy hatte sich als die richtige Wahl erwiesen und die gröbsten Fehlentscheidungen Isobels, deren Geschmack zeitweise etwas ins Maßlose abglitt, glücklich verhindert, nicht ohne ihr trotzdem das Gefühl gegeben zu haben, die wahre Bauherrin zu sein. Havisham wollte seine junge Frau durchaus bei Laune halten. Noch und gerade jetzt brauchte er sie. Ihre Verwandtschaft mit dem Earl of Branford gedachte Havisham auch politisch für sich zu nutzen. War er erst einmal fest verankert in den politisch einflussreichen Zirkeln des Landes, würde man weitersehen, denn von Liebe und Zuneigung konnte wohl beiderseitig keine Rede sein. Nun war es aber als Nächstes wichtig, dass Isobel Mr
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