Die dritte Sünde (German Edition)
das beige Kostüm«, meinte sie nachdenklich, als Cathy ihr auf diese Bemerkung hin das dunkelblaue Kleid mit dem Cape herauslegen wollte, das Isobel in der letzten Zeit bei Spaziergängen zu tragen pflegte. Cathy beeilte sich zu tun, wie ihr geheißen war. Sie war seit jenem Vorfall, von dem nur noch eine schmale, weiße Narbe am Haaransatz geblieben war, eine vorbildliche, überaus fleißige, aber vor allem sehr stille Bedienstete. Selbst Isobel fiel die übermäßige Schweigsamkeit auf. Nicht, dass sie je wirklich einen Grund gehabt hatte, sich über Cathys Dienste zu beklagen, seit diese ihre Zofe geworden war. Isobel wusste selbst am allerbesten, dass die Begründung, die sie wegen des Vorfalls im Baderaum so forsch ins Feld geführt hatte, jeder Grundlage entbehrte. Doch nun schien es fast, als habe sich Cathy vollkommen in sich zurückgezogen. Fast wie ein mechanisches Geschöpf, ein Aufziehspielzeug, verrichtete sie ihre Pflichten gegenüber Isobel tadellos, wirkte aber wie erfroren. Ja, das traf es wohl am ehesten, überlegte Isobel in einem der seltenen Momente, in denen sie ihre Aufmerksamkeit auf die Menschen richtete, die sie umgaben. Es war, als ob Cathys Lebenskraft, ihre Daseinsfreude und auch der durchaus vorhandene feine Humor, der Isobel eigentlich gefallen hatte in der Zeit, als sie noch Kinder waren, sich wie die Natur im Winter zurückgezogen hatte, sodass man fast meinen konnte, es würde nie wieder etwas wachsen. Deshalb hatte Isobel bisher auch davon abgesehen, ihr sorgfältig bereitetes, wirksames Druckmittel gegenüber Cathy anzuwenden. Es war einfach nicht nötig gewesen. Zwar hatte sie den Verdacht, dass Cathy zumindest ahnte, dass Isobel intime Beziehungen außerhalb des ehelichen Schlafzimmers unterhielt und wahrscheinlich auch mit wem, aber Cathy hatte nie auch nur die leiseste Andeutung dazu gemacht oder gar gezeigt, dass sie Bescheid wusste. Längst mussten ihr die Grasflecken und andere verräterische Spuren auf Isobels Kleidung und Unterwäsche aufgefallen sein, wenn diese von ihren Ausritten, bei denen sie nun regelmäßig von Aaron begleitet wurde, oder den scheinbar einsamen Spaziergängen zurückkehrte. Schließlich oblag es ihr – so hatte Isobel es ausdrücklich angeordnet –, die Kleidung ihrer Herrin ausschließlich persönlich zu reinigen und zu pflegen. Isobel beglückwünschte sich selbst im Stillen zu diesem klugen Entschluss, da es sonst vielleicht doch Gerede bei den Waschweibern gegeben hätte, die ohnehin, wie ja jeder wusste, zum Tratschen neigten. Offenbar schien es Cathy gleichgültig zu sein, was Isobel mit Aaron tat. Vielleicht aber verstand sie es auch nur, ihre wahren Gedanken gegenüber ihrer Herrin zu verbergen. Einerlei, solange Cathy den Mund hielt, sollte es Isobel egal sein, wie diese darüber dachte oder ob es ihr gar etwas ausmachte, was immerhin denkbar war. Schließlich hatte Aaron ja zugegeben, dass er kurze Zeit Interesse an Cathy gehabt hatte, aber das brauchte Isobel inzwischen nicht mehr zu stören. Ihre Gedanken wandten sich wieder dem drängenderen Problem des nahenden Winters zu. Irgendwie musste sie eine Lösung dafür finden. Sie lächelte ihrem Spiegelbild zu. Heute würde sie wohl noch etwas wagen.
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»Hervorragend, Billie, du sitzt schon sehr gut auf dem Pferd! Ein wenig gerader den Rücken und gib mehr Schenkeldruck! Das Pferd spürt am ehesten durch deine Haltung, was du von ihm willst, nicht so sehr durch das Ziehen an den Zügeln. Du kannst es leicht mit einer Hand lenken.« Aaron lächelte, als er sah, wie sich der Junge angestrengt bemühte, seinen Anweisungen Folge zu leisten. Seit kurzer Zeit erlaubte ihm Aaron hin und wieder, ein wenig auf einem der Zugpferde zu reiten, die, wenn sie nicht gebraucht wurden, tagsüber auf der Weide waren. Seit dem Sommer war Billie regelmäßig auf Whitefell, da er immer wieder von Isobel als Laufbursche eingesetzt wurde. Aaron wusste, dass Cathy deshalb höchst beunruhigt war. Unverändert hing sie an diesem Kind mit übermäßiger Sorge, und das, obwohl Billie sie offenbar nicht sonderlich mochte, ja, sogar schnitt. Jetzt, da die Bauarbeiten abgeschlossen waren, gab es für Billie aber nicht mehr allzu viel zu tun. Isobel schien auch ein wenig das Interesse an ihm verloren zu haben. Billie war recht unglücklich darüber, versuchte es aber nicht zu zeigen, denn das wäre ihm mit seinen zehn Jahren doch recht kindisch und unmännlich vorgekommen. Nur noch selten gab ihm seine angebetete
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