Die dritte Sünde (German Edition)
außerordentlich hübsch anzusehen in ihrem blauen Miederrock, der festlichen weißen, mit feiner Stickerei verzierten Bluse, die zweifellos von Mrs Branagh stammte, und dem geflochtenen Kranz aus Immergrün in ihrem herrlichen Haar.
Als Martha sie das letzte Mal gesehen hatte, krank und fiebrig und in dieses unförmige graue Gewand gekleidet, das sie auf Anweisung zu tragen hatte, war ihr die erblühte Schönheit Cathys bereits aufgefallen. Nun aber, als sich die Eheleute einander zuwandten und Aaron ihr den Ring an den Finger steckte, ging ein entzücktes Raunen durch den Kirchenraum: Kein Zweifel, sie war eine wahre Augenweide und das Gefallen an ihr spiegelte sich überdeutlich im glücklichen Gesicht des Bräutigams wider. Seltsam nur, dass die junge Braut trotzdem recht bedrückt wirkte. Ob das damit zusammenhing, dass die Herrin von Whitefell, die das Geschehen gespannt verfolgte, mit einem eigenartigen, nahezu höhnischen Blick zur Braut hinübersah? Martha schüttelte ihr ergrautes Haupt. Was ging da nur vor sich? Dieser Gesichtsausdruck Isobel Havishams erschien ihr angesichts des Freudentages des jungen Paares doch sehr unangemessen. Auch Mr Gruber schien das aufgefallen zu sein. Er runzelte die Stirn, ließ sich aber sonst nichts anmerken.
Als der Bräutigam die Braut küsste, die diesen Kuss nur sehr zurückhaltend erwiderte, brach der volle Kirchenraum in Jubel aus, und im Nu war der Durchgang, den das Paar durchschritt, gefüllt mit Menschen, die den jungen Eheleuten die besten Segenswünsche auf den Weg mitgeben wollten. Für die Organisation einer Feier war ohnehin keine Zeit gewesen. Das wäre eigentlich Aufgabe der Familie der Braut gewesen, aber die Thomsons glänzten mit Abwesenheit. Martha reihte sich in die Schlange der Gratulanten ein.
»Wenigstens hätte Wycliff sich im Gottesdienst blicken lassen sollen«, knurrte Finley, der hinter ihr stand, erbost.
»Ist er denn immer noch so unversöhnlich wegen dieser Sache damals? Es war doch eigentlich nicht die Schuld des Mädchens, eher ein tragischer Unfall, der jederzeit hätte passieren können bei diesem eigensinnigen kleinen Burschen. Was denkt der Mann sich nur dabei, dass er sie immer noch mit Verachtung straft?«, sagte Martha und wandte sich zu Finley um. »Ich dachte, er hätte sich seit dem Sommer eines Besseren besonnen?«
Der Wildhüter schüttelte resigniert den Kopf und schürzte die Lippen, um sein Missfallen zu bekräftigen. »Du hättest erleben sollen, wie der sich gestern aufgeführt hat. Eine Schande ist das! Es wäre auf dem Fest in der Scheune beinahe zu einer Schlägerei zwischen Aaron und Thomson gekommen. Wenn Thomson so weitermacht, geht das Mädchen noch an ihrem Kummer zugrunde, aber er lässt nicht mit sich reden. Ich habe es auch schon versucht.«
Martha seufzte. »Er ist offenbar ein sturer Mann, obwohl ich trotzdem nicht schlecht von ihm denken mag. Vielleicht liegt es daran, dass er sich selbst so sehr quält mit irgendetwas. Das kann das Herz eines Menschen hart und unversöhnlich machen. Hoffen wir, dass Aaron Stutter Cathy ein guter Ehemann sein wird. Sollte er das nämlich nicht sein, dann bekommt er es mit mir zu tun. Vielleicht sollte ich ihm das nachher noch einmal ausdrücklich sagen!«, meinte sie entschlossen und mit drohend zusammengezogenen Augenbrauen.
Finley lächelte freundlich. »Das würde er nicht wagen, Martha! Wer traut sich auch schon, es sich mit dir zu verscherzen.«
Die Schlange der Gratulanten, die sich auf dem dörflichen Kirchplatz sammelte, war beachtlich. Timothy Gruber stellte sich auf eine längere Wartezeit ein, die er am Eingang der Kirche neben der Herrin von Whitefell stehend mit dem salbadernden und ermüdenden Geschwätz dieses Pfarrers Browning würde verbringen müssen. Er wunderte sich darüber, dass sich Mrs Havisham, die sich sonst offenbar – das hatte er trotz der Kürze seines Aufenthalts auf Whitefell bereits bemerkt – nicht gerade durch ein Übermaß an Geduld auszeichnete, dem wasserfallartigen Gerede des Mannes freiwillig aussetzte, aber ohnehin schien sie diesem nur oberflächlich zuzuhören. Wie schon während der Trauungszeremonie war ihre gespannte Aufmerksamkeit auf das junge Paar gerichtet. Das Verhalten seiner Arbeitgeberin schürte Grubers Misstrauen. Mit dem untrüglichen Instinkt des in Menschenführung erfahrenen Verwalters spürte er, dass zwischen den beiden Frauen, die doch so unterschiedlichen Standes waren, eine beunruhigende Spannung
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