Die dritte Sünde (German Edition)
ließ ihn nicht ausreden. »Ich weiß nicht, Aaron! Ich weiß gar nichts mehr, ich spüre nichts mehr – es ist alles wie tot in mir.« Wieder versuchte sie von ihm loszukommen. Er musste es einsehen: Es hatte einfach keinen Sinn, ihr jetzt alles erklären zu wollen, das würde Zeit und Ruhe brauchen. Jetzt war nur eines wichtig … Er sank vor ihr auf die Knie. »Cathy, wirst du trotzdem morgen meine Frau werden?«, fragte er, bebend vor Angst, sie könne es ihm verweigern. Sie senkte nur den Blick und schwieg.
»Bitte, Cathy!«, flehte er verzweifelt. »Werde meine Frau!«
Und endlich, endlich, als er die fürchterliche Ungewissheit schon nicht mehr ertragen konnte, sah er sie kaum merklich nicken. »Ja, Aaron!«, flüsterte sie leise.
Erlöst schloss er sie erneut in die Arme. Diesmal wehrte sie sich nicht. Da keimte in ihm die Hoffnung auf, dass alles gut werden könnte.
Little Langford, Wiltshire, 11. November 1838
Kapitel 52
Feierlich waberten die Töne der kleinen Standorgel durch das schmalschiffige Gotteshaus in Little Langford. Martha Pole zog Finley, der mit seiner Familie in derselben Kirchenbank Platz genommen hatte, am Ärmel und nickte mit erstaunt hochgezogenen Augenbrauen zum abgeteilten Raum für die Herren von Whitefell hinüber, der sonst eigentlich nie besetzt war. Heute aber hatte sich die junge Herrin von Whitefell höchstpersönlich und in Begleitung des neuen Gutsverwalters Mr Gruber in die Dorfkirche begeben. In einem hochgeschlossenen, grauen Kostüm saß sie dort und beobachtete mit unergründlicher Miene, die weiteren, zahlreich erschienenen Anwesenden nicht beachtend, das Brautpaar, das sich dort vor dem Altar das Jawort geben sollte – wenn Pfarrer Browning endlich seine unerträglich lange Trauungspredigt beendet haben würde. Sonst besuchte Martha immer seltener den Gottesdienst, weil ihr das selbstgerechte Geschwätz des Pfarrherrn sonst den Sonntag verdarb, aber dieses Ereignis hatte sie sich nicht entgehen lassen wollen. Sie gönnte es Cathy Thomson von Herzen, dass diese nun endlich mit dem jungen Stutter ein eigenes Leben auf der Pennywood Farm beginnen konnte. Erstaunlich war es ja schon, dass die junge Mrs Havisham ihre Zofe nun doch so plötzlich hatte gehen lassen, obwohl sie bisher so unnachgiebig auf deren Anwesenheit auf Whitefell bestanden hatte. Selbst Mrs Branagh hatte sich, als Martha Pole sie vor der Kirche getroffen hatte – denn natürlich hatte sich fast das ganze Hauspersonal von Whitefell ebenfalls in Little Langford eingefunden – ebenfalls recht verwundert darüber gezeigt. Auch darüber, dass sich die Herrschaft, oder vielmehr die Herrin, nun auch recht großzügig in finanzieller Hinsicht erwiesen hatte. Wenn man, so hatte Mrs Branagh eingewandt – und dabei einen drohenden Blick in Richtung der neidisch tuschelnden Mägde geworfen –, allerdings bedachte, dass Cathy in all den Jahren als Spielgefährtin der ehemaligen Miss de Burgh nie auch nur einen Penny bekommen hatte, so war diese Regelung nur recht und billig. Außerdem standen ihr ohnehin noch sieben Pfund und zwölf Schillinge Lohn zu für ihre Arbeit als Zofe. Einige der Pächter hatten sich auch weniger erfreut darüber gezeigt, dass Aaron Stutter nun, obwohl auch dieser ja die Ablöse nicht aus eigener Tasche hatte bezahlen können, die Pennywood Farm zugefallen war. Dieses Vorrecht hätte doch eher jemandem aus der Gegend gebührt. Aber letztlich war dies eben die Entscheidung der Herren von Whitefell und der hatte man sich zu beugen. Immerhin, Aaron Stutter war ein geschickter und sympathischer junger Mann, dem man auch Fleiß zugutehalten musste. Zumindest hatte sich der im Dorfpub bestens bekannte ehemalige Stallmeister von Whitefell doch immer sehr angetan über ihn geäußert, ja ihn sogar in den höchsten Tönen gelobt. Also war man geneigt, den beiden jungen Leuten eine Chance in der Gemeinde von Little Langford zu geben. Ein hübsches Paar gaben sie ab, das musste Martha wirklich zugeben. Obwohl die Hochzeit recht überstürzt in die Wege geleitet worden war (es war da wohl zu einem kleinen Vorfall gekommen, den Mrs Branagh mit Empörung in der Stimme nicht näher kommentieren wollte. Aber Martha dachte sich lächelnd ihren Teil und immerhin waren die beiden ja jung), hatte Aaron Stutter es nicht versäumt, für sich neue, einem Farmer angemessene Kleidung zu besorgen und vor allem einen Ring für die Baut. Er sah wirklich gut aus, in seinen neuen Sachen. Auch Cathy war
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