Die dritte Sünde (German Edition)
Blick wanderte hilflos zu seiner schlafenden Tochter hinüber. »Bitte sage ihr …«, er schluckte noch einmal krampfhaft, »… sage ihr, dass ich sie sehr liebe und meine Gebete euch begleiten werden.«
Er blickte Aaron in die Augen. »Sie hat in dir einen guten Mann, Aaron. Ich vertraue sie dir an. Was könnte ich sonst tun? Passt gut auf euch auf.«
Einen Moment hielt er noch den Augenkontakt, dann wandte er sich schnell ab und verließ den Raum.
Aaron blieb im Dämmer der Kammer zurück. Am nächsten Morgen schon würden sie aufbrechen.
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Armindale händigte seine Karte der Haushälterin von Mr de Burgh aus. »Ist Mr de Burgh nun zugegen?«
Die Haushälterin nickte. »Ja, der Herr ist vorhin aus dem Club zurückgekehrt. Er erwartet Sie bereits.«
Armindale folgte ihr die Treppe hinauf ins obere Stockwerk des schlichten Stadthauses. London war teuer, aber es hatte ihn doch gewundert, dass Mr de Burgh, immerhin der ehemalige Herr Whitefells, derart bescheiden residierte. Als er den Raum betrat, erblickte er einen Mann, der wesentlich älter wirkte, als sein Alter von kaum sechzig Jahren erwarten ließ. Francis de Burgh, der auf einem Sessel in der Nähe des vor sich hin glimmenden Kamins saß, wandte sich ihm mit leerem Blick zu. »Ah, Mr Armindale. Sie haben sich noch einmal herbemüht, wie ich sehe. Setzen Sie sich doch. Was kann ich für Sie tun?«
Armindale nahm ihm gegenüber Platz. »Mr de Burgh«, begann er, »ich wollte mich bei Ihnen nach den genaueren Umständen des Todes Ihres Sohnes und Erben Daniel de Burgh erkundigen.«
Fortsetzung folgt.
Teil 2 der Saga heißt: Stadt der Schuld
(erscheint im Frühsommer 2013)
Nachwort und historische Erläuterungen
Nach Abschluss meines Regency-Romans »Pflicht und Verlangen«, der gemäß eines Großteils britischer Romantradition des 19. Jahrhunderts ausschließlich in der Adelsgesellschaft spielt, trieb mich immer mehr die Frage um, wie es denn um die Lebenswirklichkeit des weitaus größeren Teils der Bevölkerung in jener Zeit bestellt war. Schließlich repräsentiert die in romantischen Geschichten geschilderte Welt der Lords und Ladys nur einen verschwindend geringen Teil der Gesellschaft. Wir erleben die »normalen« Leute, wenn überhaupt, in den zeitgenössischen Romanen oft genug nur als stumme Diener der Protagonisten, lediglich in den Erzählungen von Charles Dickens begegnen uns die weniger vom Glück Begünstigten. Zeitgenössische Romanautoren und -autorinnen, die darüber hinaus die Welt der einfachen Bevölkerung fokussierten, sind hierzulande eher wenig bekannt. Anthony Trollope, George Eliot – auf die ich später noch eingehen will – und auch Elizabeth Gaskell sind hier zu nennen.
So machte ich mich gespannt an die Erforschung der sozialen Verhältnisse im England zur Regierungszeit von Königin Victoria und fand eine äußerst bewegte Ära vor, die mich faszinierte und die sich einfachen Fragestellungen und vor allem rückblickender Verurteilung entzog.
Neben romantischen Vorstellungen wird unser Bild des Victorianischen Zeitalters, das den größten Teil des 19. Jahrhunderts umfasst (Victoria herrschte von 1837 – 1901) – genährt von entsprechenden Filmerzeugnissen und Erzählungen – heute vor allem von zwei Faktoren geprägt: einer unscharfen Vorstellung von merkwürdigen, aber hübsch anzusehenden und mit Dampfkraft betriebenen Erfindungen, gepaart mit kindlicher Entdeckerfreude, sowie von schreiender sozialer Ungerechtigkeit à la Oliver Twist. Dazu gesellt sich eine äußerst kritische Beurteilung von Imperialismus und Kolonialismus. Über all dem schwebt die Vorstellung einer in schwarze Gewänder gehüllten, altbackenen Matrone, die die Fäden der größten Weltmacht jener Zeit viel zu lange eisern in Händen hielt. All dies trifft in gewisser Weise zu und doch verzerrt es die dynamische und hoch komplizierte Lebenswelt der Victorianer zu einer unzutreffenden Karikatur.
Als die blutjunge und lebensunerfahrene Victoria gerade achzehnjährig 1837 den Thron des britischen Empires bestieg, schickte sich England an, von einer beherrschenden Großmacht zur Weltmacht zu werden, die diese Bezeichnung auch wirklich verdiente. Im weiteren Verlauf ihrer Regierungszeit wurde fast die Hälfte der Welt zu ihrem Herrschaftsgebiet und ein weiteres Viertel stand unter dem politischen und vor allem wirtschaftlichen Einfluss Britanniens. Der Stolz und das Bewusstsein der eigenen Bedeutsamkeit der Briten war also durchaus
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