Die dritte Sünde (German Edition)
schließlich zu dem Braunen hinüber. Wieder kamen ihm die Tränen. Er drückte seine Stirn an den warmen Hals des Tieres. Cathys lauter werdende Schmerzensschreie drangen unüberhörbar aus der Kate. Jeder einzelne von ihnen war für ihn eine Qual.
Er seufzte. Es war schrecklich! Nicht nur, dass Cathy das Kind verlor, ihr gutes Leben auf der Pennywood Farm hatte mit der Auseinandersetzung ein jähes Ende gefunden. Sie mussten fliehen, davonlaufen wie Diebe in der Nacht. Ihre Lebensgrundlage war mit einem Schlag zerstört worden. Aaron wusste nur zu gut, dass Isobel ihre Drohung wahr machen würde. Sie konnten nicht zurück zur Pennywood Farm. Selbst der Aufenthalt bei Martha war gefährlich. Wie lange würde es dauern, bis Isobel den Übergriff auf sie angezeigt hatte? Und die Polizei würde ihr, oder besser ihrem Ehemann Mr Havisham, ohne Weiteres Glauben schenken. Die Spuren in Isobels Gesicht sprachen ja eine deutliche, wenn auch irreführende Sprache. Dass Isobel Cathy vorher beinahe totgeschlagen und das Kind in ihrem Leib umgebracht hatte, würde vermutlich niemanden interessieren. Einfachen Leuten glaubte in solchen Fällen ohnehin kein Richter, nicht, wenn Angehörige der Oberschicht in den Fall verwickelt waren. Aaron lächelte bitter. Wenn sie seiner habhaft werden konnten, würden sie ihn aufhängen wie einen räudigen Hund, das stand außer Frage. Aaron schüttelte es bei dem Gedanken an die Gehenkten, die die Gerichtsbarkeit zur Abschreckung jeweils an den Wegkreuzungen vor den Städten verrotten ließ, bis man sie nach einiger Zeit, je nach Schwere des Verbrechens, abnahm und achtlos verscharrte. Wie lange würden seine faulenden Überreste dort hängen? Drei oder vier Wochen? Was kostete der Fausthieb in Isobel Havishams Gesicht?
Es blieb ihnen keine Wahl: Sie mussten davonlaufen. Wieder einmal! Dieses Schicksal war wohl untrennbar mit ihm verbunden. Er hatte keine Ahnung, wie sie das bewältigen sollten. Schließlich war er nicht mehr allein auf der Welt und Cathy ging es alles andere als gut. Was sollte jetzt aus ihnen werden?
Da trat Martha vor die Tür, ein blutiges Bündel in der Hand. Aaron stockte der Atem, als ihm bewusst wurde, was dieses Bündel enthielt. Martha winkte ihn zu sich. Ihre Augen waren voller Mitgefühl, als sie sagte: »Cathy geht es den Umständen entsprechend gut. Sie wird es überstehen, denke ich. Mach’ dir keine Sorgen, Aaron.« Aaron nickte stumm. Er sah sich außerstande zu sprechen, fürchtete er doch, beim Klang seiner eigenen Stimme endgültig die Fassung zu verlieren. Martha sah wohl ohnehin die Spuren der frischen Tränen auf seinem Gesicht. Sie räusperte sich und sagte leise: »Ich weiß, dass die Kirche das eigentlich nicht gerne sieht, aber ich habe einen Platz hinten bei der alten Weide«, sie wies hinüber zu einem mächtigen Baum im hinteren Teil ihres Gartens in der Nähe einer Ziegelmauer. Scillas bildeten einen hübschen leuchtend blauen Teppich an seinen Wurzeln, »dort magst du das kleine Wesen begraben. Einen Spaten findest du bei der Mauer.« Fest legte sie ihre alte abgearbeitete Hand einen Augenblick auf seinen Unterarm, als sie ihm das Bündel übergab. Das gab ihm ein wenig Trost. Trotzdem fiel es ihm unendlich schwer, den Weg hinüber in das schattige Grün der Weide anzutreten.
Die weit herabhängenden Zweige umgaben ihn wie eine stille Halle, als er nach dem Spaten griff und mit kräftigen Bewegungen ein Loch aushob. Die Erde war schwer und feucht. Dann endlich glaubte er, genug Raum geschaffen zu haben. Fast scheu ergriff er das Bündel, das er vorsichtig neben sich abgelegt hatte. Er bückte sich, um es in die frisch ausgehobene Kuhle zu legen, doch plötzlich hielt er inne. Ein einziges Mal wollte er sein totgeborenes Kind ansehen. Es sollte nicht ohne den liebevollen Blick seines Vaters vom Antlitz der Erde gehen müssen. Der Anblick des kleinen zerbrechlichen Körpers, kaum so groß wie ein Püppchen, brach ihm buchstäblich das Herz. Ein Schrei drängte seine Kehle hinauf, kraftlos fiel er auf die Knie und gab sich seiner Qual hin.
Da spürte er Marthas Hand, die sich auf seine Schulter legte. Unbemerkt war sie hinter ihn getreten. »Lass es gehen, Aaron. Es ist besser so!«, sagte sie leise. Er zögerte, doch dann nahm er sich zusammen und befolgte ihren Rat. Bald hatte die schwarze Erde das kleine leblose Bündel bedeckt. Martha schlug das Kreuzzeichen darüber und verharrte einen Augenblick schweigend.
»Und nun Aaron, lass uns
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