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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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plötzlich unwohl und bedroht. Sie hatte das Gefühl, daß ihr die Initiative aus der Hand genommen wurde. Wieder einmal wurde sie von Mächten außerhalb ihrer selbst gesteuert.
    Ein ähnliches Gefühl, in Richtungen gestoßen zu werden, in die sie nicht gehen wollte, hatte sie am späten Nachmittag, als Dr. Stark anrief.
    »Zoe«, sagte er ohne Einleitung, »ich möchte, daß Sie sich so schnell wie möglich in ein Hospital begeben. Ihre Untersuchungsergebnisse sind da, und sie sind weit beunruhigender, als ich erwartet hatte. Ich habe über Ihren Fall mit einem Freund von mir gesprochen, einem sehr fähigen Endokrinologen, und er ist wie ich der Meinung, daß Sie in ein Krankenhaus gehören, bevor Sie eine Addisonsche Krise erleiden.«
    »Ich gehe nicht ins Krankenhaus«, sagte sie ruhig. »Ich brauche kein Krankenhaus. Ich bin völlig in Ordnung.«
    »Jetzt hören Sie mir mal zu, junge Dame«, sagte er scharf. »Sie sind ganz und gar nicht in Ordnung. Sie leiden an einer bösartigen Krankheit, die ständige Behandlung und Beobachtung erfordert. Alles deutet auf eine ernsthafte Verschlechterung Ihres Zustands hin. Wir müssen herausfinden, warum. Ich spreche nicht von einer Operation oder dergleichen; ich spreche von Untersuchungen und Beobachtungen. Wenn Sie sich weigern, kann ich keine Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen.«
    »Nein«, sagte sie. »Ich gehe nicht ins Krankenhaus.«
    Er schwieg einen Moment.
    »Nun gut«, sagte er. »Dann bleibt mir nur noch die Chance, mit Ihren Eltern Kontakt aufzunehmen. Und außerdem muß ich Sie, falls Sie Ihre Meinung nicht ändern, ersuchen, sich einen anderen Arzt zu suchen. Es tut mir leid, Zoe«, sagte er sanft, bevor er auflegte.
    Sie hätte nicht genau sagen können, warum sie so widerspenstig gewesen wir. Sie zweifelte nicht an Dr. Starks fachlichem Können. Sie nahm an, daß er recht hatte; sie war ernstlich krank, und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide.
    Sie sagte sich, daß sie die Würdelosigkeit des Daseins in einem Krankenhaus nicht ertragen könnte — nackt vor gefühllosen Fremden zu liegen, befühlt und beklopft zu werden, ihre Ausscheidungen kritischen Untersuchungen preisgegeben, ihr Körper behandelt wie ein besonders ekelhaftes, wertloses Stück Fleisch.
    Und darüber hinaus wurde sie von der geheimen Furcht beherrscht, daß sie im Krankenhaus womöglich wieder völlig gesund gemacht und solcherart um ihre ganz privaten und persönlichen Schmerzen und Vergnügen gebracht werden könnte, die ihr so kostbar waren.
    Sie war sich nicht ganz darüber im klaren, wie so etwas passieren könnte, aber die Befürchtung blieb, daß eine Behandlung in einem Krankenhaus diese Wogen unsinniger Kraft und Stärke, die sie während ihrer Abenteuer verspürte, glätten könnte. Sie würden sie auf ein langweiliges, geduldiges Tier reduzieren und den einzigen Funken ersticken, der sie über all die anderen Tiermenschen, die sich auf den Straßen drängten, erhob.
    Nur auf diese eine Weise war sie etwas Besonderes. Sie hatte die Furcht von Millionen erregt, hatte in den Köpfen der Polizei Wut und Verwirrung ausgelöst und den Verlauf von Ereignissen beeinflußt, deren Opfer sie bis dahin gewesen war.
    Ein Krankenhaus zog unter all das vielleicht einen Schlußstrich, beraubte sie der einzigen ihr verbliebenen Einzigartigkeit und mochte damit die Seele von Zoe Kohler zerstören.
    Am Dienstagmorgen erwartete sie ein neuer Schock. Sie saß an ihrem Schreibtisch, trank Kaffee und blätterte in der New York Times. Da sprang ihr auf der ersten Seite des Lokalteils eine Überschrift ins Auge: »Polizei präsentiert neue Zeichnung des ›Rippers‹.«
    Unter dem Vorspann zu dem Artikel fand sich eine zwei Spalten breite Zeichnung in Bleistift und Tusche. In dem Moment, in dem Zoe Kohler sie bemerkte, blickte sie wild auf und legte rasch einen anderen Teil der Zeitung darüber.
    Endlich, als ihr Puls sieh beruhigt hatte und sie wieder normal zu atmen vermochte, deckte sie die Zeichnung wieder auf und betrachtete sie lange und genau.
    Sie fand sie so ungeheuer ähnlich. Das Haar war falsch gezeichnet, und das Gesicht wirkte zu lang und dünn, aber der Zeichner hatte die Form ihrer Augenbrauen, die geraden Lippen, das ausgeprägte Kinn genau getroffen.
    Je länger sie die Zeichnung betrachtete, desto ähnlicher schien sie ihr. Sie konnte nicht verstehen, warum die anderen Angestellten des Hotels nicht in ihr Büro stürzten, sich um ihren Schreibtisch

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