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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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nicht kontrollieren kann. Alles verändert sich so schnell. Nichts bleibt, wie es war. Aber was gibt es für einen Ausweg? Aussteigen und in die Wildnis gehen? Wer kann sich das schon leisten. Oder versuchen, eine Veränderung herbeizuführen? Ich glaube nicht, daß der einzelne irgend etwas ausrichten kann. Es sind — es sind einfach übermächtige Kräfte.«
    Er holte tief Luft und leerte sein Glas. Dann lachte er unsicher. »Ich langweile Sie wahrscheinlich«, sagte er. »Entschuldigung.«
    »Sie langweilen mich nicht, Ernest.«
    »Er nie.«
    »Sie langweilen mich nicht, Ernie. Was Sie gesagt haben, ist sehr interessant. Glauben Sie wirklich, daß wir von unserer Umwelt beeinflußt werden, auch wenn wir uns bewußt sind, wie schrecklich sie ist und versuchen — versuchen, dagegen zu rebellieren?«
    »Oh ja«, sagte er. »Ganz sicher. Haben Sie sich an der Universität mit Psychologie beschäftigt?«
    »Zwei Jahre.«
    »Nun, dann wissen Sie ja, daß Sie Ratten durch Lärm, schlechtes Futter, grelles Licht oder, indem Sie zu viele von ihnen zusammenpferchen, so unter Druck setzen können, daß sie komplett durchdrehen. Gut, Menschen haben zugegebenermaßen eine höhere Intelligenz als Ratten. Wir haben die Fähigkeit zu erkennen, daß wir uns in einer Streßsituation befinden und können eine bewußte Anstrengung unternehmen, sie zu ertragen oder ihr auszuweichen. Aber ich behaupte nach wie vor, daß das, was heute in der modernen Welt um uns herum vorgeht, uns in einer Weise beeinflußt, von der wir noch keine Ahnung haben.«
    »Körperlich, meinen Sie?«
    »Das natürlich sowieso. Verschmutzte Luft, Strahlungen, verseuchtes Wasser, billiges Essen. Aber schlimmer ist das, was uns widerfährt, unserem Wesen. Wir verändern uns, Zoe. Dessen bin ich ganz sicher.«
    »Wie verändern wir uns?«
    »Wir werden härter, weniger umgänglich. Wir können uns nicht mehr konzentrieren. Sex hat seine Einzigartigkeit verloren. Liebe ist ein billiger Witz geworden, Gewalt ein Lebensstil. Das Gesetz wird nicht mehr respektiert, Verbrechen zahlt sich aus. Die Religion ist auf einen Kult unter vielen reduziert. Und so weiter und so weiter. Oh Gott, das klingt wahrscheinlich wie von einem dieser Propheten der Verdammnis.«
    Sie ging noch einmal auf den Punkt ein, der sie am meisten faszinierte. »Und obwohl Sie so empfinden und all das wissen, haben Sie immer noch das Gefühl, daß Sie verändert werden?«
    Er nickte unglücklich. »Erst gestern«, sagte er, »habe ich zu Abend gegessen und dabei ferngesehen. Ich habe mir die Abendnachrichten angesehen, und dort wurden Filme von den kambodschanischen Flüchtlingslagern in Thailand gezeigt. Ich saß da und aß und trank und sah Kinder, Babies mit strohhalmdünnen Armchen und Beinchen und aufgedunsenen Bäuchen, die Augen von Fliegen bedeckt. Ich saß da und aß, und sah zu, wie die Leute starben. Nach einer Weile habe ich gemerkt, daß ich weinte.«
    »Ich verstehe«, sagte sie mitfühlend. »Es war schrecklich.«
    »Nein, nein«, sagte er gequält. »Ich habe nicht geweint, weil es so schrecklich war. Ich habe geweint, weil ich nichts fühlte. Ich habe diese Bilder betrachtet und wußte, daß sie wahr waren, daß die Leute dort wirklich starben, und ich habe nicht das geringste gefühlt. Das meine ich, wenn ich sage, daß diese Welt uns auf eine Weise verändert, auf die wir nicht verändert werden wollen.«
    Plötzlich, ohne Vorwarnung, flossen seine Augen über, und er begann zu weinen. Sie starrte ihn einen Moment hilflos an, dann streckte sie ihre Arme aus. Er stolperte vorwärts und brach neben ihr auf der Couch zusammen. Sie legte einen Arm um seine schmalen Schultern und zog ihn an sich. Mit der anderen Hand strich sie das feine flachsfarbene Haar von seinen Schläfen zurück.
    »Na, Ernie«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Na. Na.«
    An den Tagen nach ihrem Anruf bei der New York Times suchte Zoe Kohler in allen Zeitungen nach einer Reaktion auf ihren Tip. Aber mit Ausnahme einiger kurzer Nachfolgeberichte über den Tod von Frederick Wolheim im Pierce fand sie nichts. Zoe war überzeugt, daß die Zusammenhänge vertuscht werden sollten. Wie Everett Pinckney gesagt hatte, es war nicht gut für die Hotelbranche.
    Aber am 24. März erschien im Lokalteil der Times ein zweispaltiger Artikel, der unter der Schlagzeile »Killer in zwei Mordfällen gesucht« die Morde an George T. Puller und Frederick Wolheim wieder aufgriff, die Ähnlichkeiten darlegte und erklärte, daß die

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