Die dritte Todsuende
bringen mit den zarten Erinnerungen einer Frau, die »Liebster, Liebster, Liebster!« sagte.
Am 6. Mai betrat Zoe Kohler wenige Minuten vor sechs Uhr abends die Praxis von Dr. Oscar Stark. Im Wartezimmer saßen zwei Patienten, und es dauerte fast eine Stunde, bis Gladys sie in den Untersuchungsraum führte.
Zoe wurde gewogen; anschließend ging sie mit dem Plastikbehälter in den Waschraum. Sie reichte Gladys ihre Urinprobe und setzte sich, eingehüllt in ein Laken. Dr. Stark trat ein, geschäftig wie immer, im Schlepptau eine Rauchwolke. Vorsichtig legte er seine Zigarre beiseite.
»Sieh an, sieh an«, sagte er und musterte Zoe. »Was haben wir denn hier? Eine neue Frisur?«
»Ja«, sagte sie errötend. »Mehr oder weniger.«
»Sie gefällt mir«, sagte er. »Ganz reizend. Finden Sie nicht, Gladys?«
»Und ob«, antwortete die Schwester. »Ich wünschte, ich könnte mein Haar so tragen.«
»Vielleicht sollte ich es auch mal versuchen«, sagte der Arzt.
Er zog seinen fahrbaren Stuhl heran, nahm Zoe gegenüber Platz und wärmte das Stethoskop wie gewöhnlich. Sie ließ das Tuch zu den Hüften herabsinken. Er legte die kleine Metallscheibe auf ihre Brust, dann suchte er die Rippen ab.
»Mmmm«, grunzte er. »Sie sind nicht zufällig die ganze Strecke vom Büro hierher gelaufen, wie?«
»Nein«, sagte Zoe ernsthaft. »Ich habe fast eine Stunde im Vorzimmer gewartet.«
Gladys holte den Blutdruckmesser. Stark maß Zoes Blutdruck. Gladys las das Ergebnis ab und notierte es.
»Das Ganze noch einmal«, sagte Dr. Stark und wiederholte den Prozeß. Wieder notierte Gladys die Ergebnisse.
Der Arzt saß einen Moment wortlos da, starrte Zoe an, das Gesicht ausdruckslos. Dann nahm er eine Blutprobe und legte die Spritze beiseite.
»Das Vergrößerungsglas, bitte.«
Er schob den Stuhl so dicht an Zoe heran, wie es eben möglich war. Er beugte sich vor und begann, sie mit dem Vergrößerungsglas zu untersuchen. Er musterte ihre Lippen, das Gesicht, den Hals und die Arme. Er inspizierte ihre Handflächen, die Falten an der Innenseite ihrer Finger, die Krümmungen der Ellbogen, die Höfe und Warzen der Brüste.
»Offnen Sie das Laken und spreizen Sie die Beine.«
Sie tat wie geheißen. Er zupfte sacht an ihrem Schamhaar und betrachtete dann seine Finger. Ein paar gekräuselte Haare waren in seiner Hand geblieben. Er untersuchte sie durch das Vergrößerungsglas.
»Warum haben Sie das getan?« fragte Zoe schwach.
Er blickte sie freundlich an. »Um ein Kissen auszustopfen«, sagte er. Gladys lachte.
Er reichte der Schwester das Glas und begann mit der Untersuchung von Brüsten und Becken. Zehn Minuten später saß Zoe Kohler ihm angezogen in seinem Büro gegenüber und sah zu, wie er sich eine neue Zigarre anzündete.
»Was soll ich nur mit Ihnen anfangen?« fragte er.
Zoe war beunruhigt. »Ich verstehe nicht«, sagte sie.
»Zoe, waren sie kürzlich größerem Streß ausgesetzt?«
»Streß?«
»Druck. Bei der Arbeit? Im Privatleben? Mußten Sie sich über irgend etwas aufregen? Waren sie angespannt, erregt oder irritiert?«
»Nein«, sagte sie, »nichts von alledem.«
Er seufzte. Seit mehr als dreißig Jahren praktizierte er seinen Beruf; er wußte sehr genau, wie oft Patienten logen. Gewöhnlich logen sie, weil sie verwirrt, beschämt oder verängstigt waren. Manchmal aber, argwöhnte Dr. Stark, stellten die Lügen eines Patienten einen unbewußten Drang zur Selbstaufopferung dar.
»In Ordnung«, sagte er, »gehen wir zu einem anderen Punkt über… Leben Sie zur Zeit diät? Versuchen Sie abzunehmen?«
»Nein, ich esse dasselbe wie immer.«
»Sie wiegen fast vier Pfund weniger als letzten Monat.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte sie erschrocken.
»Ich auch nicht. Aber es stimmt.«
»Vielleicht ist Ihnen ein Irrtum unterlaufen. Vielleicht hat Gladys…«
»Unsinn«, sagte er scharf. »Gladys macht keine Fehler. Also…, Ihr Puls ist zu schnell. Ihr Herz klingt, als hätten Sie gerade versucht, hundert Meter in zehn Sekunden zurückzulegen, und Ihr Blutdruck ist in die Höhe gegangen. Er liegt immer noch im normalen Bereich, aber an der oberen Grenze, und das gefällt mir nicht. Wir haben es hier mit lauter Anzeichen beginnender Hypertonie zu tun. Deswegen habe ich Sie gefragt, ob Sie in letzter Zeit unter nervlichem oder emotionalem Streß gestanden haben.«
»Nein, habe ich nicht.«
»Ich verlasse mich auf Ihr Wort«, sagte er trocken. »Aber trotzdem beschert uns das ein kleines Problem. Nehmen Sie
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