Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
Vom Netzwerk:
wegen »vielversprechender Spuren‹ und ›kurz bevorstehenden Festnahmen‹. Das alles soll doch wohl ein Witz sein.«
    »Wenn er nicht bald ein paar Ergebnisse vorzuweisen hat«, sagte Pinckney, »dann findet er sich als Parkplatzwächter in der Bronx wieder. Der Hotel- und Gaststättenverband hat in dieser Stadt eine Menge Einfluß.«
    Dann unterhielten sich die beiden Männer über den Dienstplan der nächsten Woche, und Zoe Kohler begann, die New York Times durchzublättern. Die Berichterstattung über den Hotel-Ripper fand auf Seite drei des Lokalteils statt.
    Der Mord an Jerome Ashley, dem dritten Opfer, war eine knappe Woche lang der Aufmacher sämtlicher New Yorker Zeitungen gewesen, aber als sich nichts Neues ergeben hatte, waren die Berichte weiter und weiter nach hinten gerückt.
    Die Morgenausgabe der Times hatte auch nichts Neues zu berichten, außer daß jetzt die erste Stornierung eines großen Kongresses als direkte Folge der Ripper-Morde erfolgt war. Noch einmal wurde in dem Beitrag die spärliche Beschreibung des Täters wiederholt: ein Meter fünfundsechzig bis ein Meter siebenundsechzig groß, schwarze Nylonperücke.
    Aber unter dem Artikel fand sich ein Beitrag von einem Dr. David Hsieh, der von der Times als Spezialist für Psychopathologie und Verfasser eines Buches über kriminelles Verhalten, betitelt »Die oberen Tiefen«, vorgestellt wurde.
    Zoe Kohler verschlang den Artikel. Dr. Hsieh versuchte, die Motive des Killers aus den vorhandenen Fakten zu extrapolieren, obwohl er gleichzeitig zugeben mußte, daß der Mangel an Informationen den Wert eines solchen Versuchs in Frage stellte.
    Dr. Hsieh vertrat die These, daß der Killer seine Verbrechen aus Einsamkeit beging, weswegen er sich auch Hotels mit ihren Cocktail-Lounges, Speisesälen und Kongressen aussuchte — »Orte, wo sich viele Menschen treffen, unterhalten, essen und trinken, lachen und einen ganz normalen gesellschaftlichen Verkehr pflegen, wie er dem Ripper verweigert wird. Einsamkeit kann eine Gnade sein, eine wunderbare Wohltat. Ohne sie würden viele von uns das Leben ohne Würze finden. Aber wie überall gibt es auch hier ein Problem: die Einsamkeit muß freiwillig gesucht werden. Wird sie einem aufgezwungen, kann sie zerstörerisch sein wie Schwefelsäure. Um mit ihr umgehen zu können, muß man sie suchen und erlernen. Und immer muß man sich dabei der Suchtgefahr bewußt sein: Einsamkeit ist ein Rauschmittel, eine Droge. Ein Lebenselixier, aber auch ein Beruhigungsmittel, das zu Depressionen führen kann. Was den einen zu ungeahnten Höhen führt, kann des anderen Untergang bedeuten. Der Hotel-Ripper hat nicht gelernt, damit fertig zu werden.«
    Dr. Hsieh fuhr fort: »Einsamkeit zersetzt; Schimmel tritt auf; das Alleinsein infiziert auf verschlagene, hinterhältige Weise. Einsamkeit läßt das Knochenmark verrotten, sickert durch geschrumpfte Venen in das zusammengeschnürte Herz. Der Atem beginnt nach Asche zu riechen, die Menschen werden verzweifelt. Die Polizei nennt sie ›Einzelgänger‹, ohne Unterschied, egal, ob sie allein essen, allein arbeiten, allein leben oder allein schlafen, ob sie das aus freien Stücken tun oder unter dem Druck der Umstände. Manche verlangt es danach, andere nicht. Der Hotel-Ripper gehört zur letzteren Gruppe.
    Hier setzt eine fatale Regression ein, und sie verläuft folgendermaßen: Alleinsein. Einsamkeit. Isolation. Entfremdung. Aggression. Im vorletzten Stadium wird das Glück anderer zum Anlaß für Eifersucht, im letzten zum Anlaß für Wut. ›Warum die, warum nicht ich?‹ Der Hotel-Ripper befindet sich in diesem letzten Stadium.«
    Zoe Kohler legte die Zeitung aus der Hand und starrte ins Leere. So sehr sie es auch versuchte, sie konnte sich in dem von Dr. Hsieh gezeichneten Portrait nicht erkennen. Bis jetzt hatte sie nie versucht, die Verantwortung an dem, was den drei Männern zugestoßen war, zu leugnen. Sie hatte ihre Abenteuer sorgfältig ausgetüftelt, im vollen Bewußtsein dessen, was sie tat, ausgeführt und sich auch hinterher daran erinnert.
    Sie, Zoe Kohler, war der Hotel-Ripper. Sie hatte es nie abgestritten. Nie. Nicht für eine Sekunde. Im Gegenteil, sie hatte sich darin gesonnt. Ihre Abenteuer waren Triumphe. Und die Berühmtheit, die sie ihr eingetragen hatten, war aufregend gewesen.
    Jetzt aber fühlte sie eine seltsame Distanz zu ihren Taten.
    Sie fühlte sich gespalten, auseinandergezerrt. Sie konnte die lustvollen Bilder des Hotel-Rippers nicht in Einklang

Weitere Kostenlose Bücher