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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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ergab sich in ihr Schicksal, ohne zu protestieren oder zu jammern. Es war zu spät, zu schmerzlich, etwas zu ändern. Es hatte durchaus sein Angenehmes, Opfer zu sein. Fast konnte man es ein Vergnügen nennen. Leben, mach mit mir, was du willst.
    Am 10. Mai, einem Samstag, traf sie sich mit Ernest Mittle am Eingang des Central Park an der Ecke Fifth Avenue und 59th Street. Es war nur ein paar Blocks vom Cameron Arms entfernt. Sie tauschten einen flüchtigen Kuß und schlenderten dann händchenhaltend mit der Menge in Richtung auf die Menagerie und den Kinderzoo.
    Es war mehr Sommer als Frühling. Ein hoher, dunkelblauer Himmel dehnte sich endlos über der Stadt. Die Luft war ein milder, zärtlicher Hauch. Der Wind war kaum stark genug, um Papierdrachen steigen zu lassen, und die glänzende Sonne warf purpurne Schatten.
    Die Menschen auf den Bänken hoben dem Himmel bleiche, demütige Gesichter entgegen, glücklich über diese neue Welt. Mäntel und Pullover wurden ausgezogen und über dem Arm getragen. Kinder tollten herum, Glöckchen und Flöten erklangen. Die Erde grünte und regte sich.
    »Was für ein herrlicher Tag!« rief Ernie aus. »Ich habe ihn extra für uns bestellt. Bist du damit zufrieden, Zoe?«
    »Ja, es ist, als würde man neu geboren.«
    »Möchtest du ein Eis? Hot Dogs? Erdnüsse?«
    »Nein, danke. Im Moment bin ich wunschlos glücklich.«
    »Wie wär's mit einem Ballon?«
    »O ja, ich möchte einen Luftballon. Einen roten.«
    Also kaufte er ihr einen gasgefüllten Luftballon und band das Ende der Leine sorgfältig an den Griff von Zoes Handtasche. Sie spazierten weiter unter der hochstehenden Maisonne.
    Um sie herum wirbelte ein regelrechter Karneval: Lärm, Farben, Bewegung. Aber sie fühlten sich auf eigentümliche Weise allein, eingehüllt in Frieden, ein Universum für zwei. Es gab noch weitere Paare wie sie, Hand in Hand, heiter und gelassen in ihr Geheimnis eingesponnen. Aber keins von ihnen, bemerkte Ernest, hatte einen roten Ballon. Sie lachten ausgelassen über ihre Einzigartigkeit.
    Schließlich wurden sie müde, kauften sich Bier und Sandwiches und zogen sich damit auf einen Rasenfleck außerhalb des Zoos zurück, wohin der Lärm des Karnevals und das Brüllen der Tiere nur gedämpft drangen.
    Sie setzten sich auf den warmen Boden. Zoe lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm eines knorrigen Baums. Sie tranken ihr Bier und stärkten sich mit den Sandwiches. Ein wohlgenährtes Eichhörnchen näherte sich ihnen neugierig, flitzte aber wieder davon, als Ernie eine Kruste nach ihm warf. Zwei Tauben stritten sich um die Kruste, teilten sie, warteten hoffnungsvoll auf mehr und flogen schließlich davon.
    Lichttupfer sickerten durch das Blätterdach über ihren Köpfen. In der Luft hingen ferne Schreie und leise Musik. Die Erde unter ihnen schien zu atmen. Eine frische Brise trug süße Frühlingsdüfte heran.
    Ernest Mittle lag auf dem Rücken, den Kopf in Zoes Schoß gebettet, die Augen geschlossen. Sie strich ihm geistesabwesend über das Haar, betrachtete das Treiben rings umher und hatte ein Gefühl, als wären sie allein auf der Welt. Die letzten Menschen. Die einzigen.
    »Ich wünschte, wir könnten für immer hierbleiben«, sagte sie. »Für immer so wie jetzt.«
    Er öffnete die Augen und blickte auf zu ihr.
    »Niemals heimgehen zu müssen«, sagte er. »Nie mehr in die Arbeit zu müssen. Keine U-Bahnen, Taxis oder Busse mehr. Kein Schmutz und kein Lärm. Keine Gewalt, kein Verbrechen und keine Grausamkeit. Wir bleiben einfach hier, für immer und ewig.«
    »Ja«, sagte sie versonnen. »Nur wir beide zusammen.«
    Er setzte sich auf, ergriff ihre Hand und küßte die Fingerspitzen. »Wäre das nicht schön? Wäre das nicht großartig? Zoe, ich habe mich niemals so wohl gefühlt. Nie war ich so glücklich wie jetzt. Warum kann es nicht so bleiben?«
    »Es geht nicht«, sagte sie.
    »Nein«, meinte er, »vermutlich nicht. Aber du bist doch glücklich, oder? Ich meine, jetzt, im Augenblick.«
    »O ja«, sagte sie. »Glücklicher als je zuvor in meinem Leben.«
    Er lehnte sich wieder zurück; sie begann erneut, ihm die dünnen Haare von den Schläfen zurückzustreichen.
    »Hattest du viele Jungen, Zoe?« fragte er leise. »Ich meine, als du aufgewachsen bist.«
    »Nein«, antwortete sie genauso träumerisch. »Nicht viele. Jeder Junge mußte ins Haus kommen und sich mustern lassen. Um elf Uhr mußte ich wieder zu Hause sein. Am Wochenende erst um Mitternacht, aber an allen anderen Tagen

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