Die dritte Todsuende
Thorsens erfolgreichen Aufstieg in die mit Tretminen gespickten Korridore der Macht und die höchsten Ränge des New York Police Department in seiner Fähigkeit, jeden davon zu überzeugen, daß er nur gewinnen konnte, wenn er sich von ihm manipulieren ließ. Aber obwohl er das wußte, mußte der Chief trotzdem zugeben, daß nicht alles an Thorsens Worten Berechnung war. In seinem Vorschlag steckte genug Wahrheit, um ihn ernsthaft prüfen zu müssen.
Seltsamerweise hatte er nicht ein einziges Mal von einem Motiv gesprochen, das ihm bei Delaney mehr Punkte eingebracht hätte als das ganze Gefasel von den furchtbaren Folgen der Pensionierung. Es war ein grundlegendes, beinahe schlichtes Motiv, das gefühlsduselig geklungen hätte, wenn es tatsächlich laut ausgesprochen worden wäre.
Edward X. Delaney wollte den Hotel-Ripper stoppen, weil Mord etwas Falsches war. Nicht nur etwas Unmoralisches, Unsoziales oder Unchristliches, sondern etwas Falsches.
»In Ordnung, Ivar«, sagte er. »Du kannst auf mich zählen.«
Thorsen nickte und leerte sein Glas. Aber als Delaney aufstand, um ihm nachzuschenken, hielt der Deputy Commissioner seine Hand über das Glas.
»Nichts mehr für mich, danke, Edward. Ich muß wieder zurück ins Büro.«
»Erzähl mir was über den Mord von gestern nacht.«
»Ich weiß nicht viel darüber. Laß dir von Boone die Einzelheiten geben. Ich nehme an, er war den anderen ziemlich ähnlich, mit ein paar kleinen Abweichungen. Das Opfer war nackt, aber es lag auf dem Boden zwischen Bett und Badezimmer. Das Bett war nicht benutzt worden.«
»Kehle aufgeschlitzt?«
»Ja.«
»Genitalien verstümmelt?«
»Ja.«
»Wie alt war er?«
»Mitte Vierzig. Eine Sache war merkwürdig — oder besser zwei Sachen. Die Leiche wurde von ein paar Kumpels von Bergdorfer entdeckt, die sich bei ihm einen ansaufen wollten. Sie behaupten, einen süßlichen Duft wahrgenommen zu haben, und zwar im Schlafzimmer, wo die Leiche lag.«
»Ein süßlicher Duft? Parfüm?«
»Nicht ganz. Einer der Burschen sagte, ihm sei es wie Apfelblüten vorgekommen. Die andere Sache war, daß sich im Gesicht des Opfers Verbrennungen fanden. Brandwunden ersten Grades. Rötungen, aber keine Blasen oder angesengte Stellen.«
»Tränengas«, sagte Delaney. »In niedriger Konzentration riecht es wie Apfelblüten, und wenn es zu nah an die Haut gerät, kann es Verbrennungen verursachen.«
»Tränengas?« fragte Thorsen. »Wie paßt das in das Schema des Rippers?«
»Keine Ahnung. Vielleicht konnte er nicht hinter das Opfer gelangen, wie in den anderen Fällen, und das Gas war die einzige Möglichkeit, um mit ihm fertig zu werden.«
»Nun, im Labor werden sie schon herausfinden, was es war.
Der Bericht ist uns für morgen früh versprochen worden. Aber zurück zu meiner ursprünglichen Frage: woher wußtest du, daß es gestern nacht zu einem weiteren Mord kommen würde?«
»Ich wußte es nicht, ich habe es vermutet. Und ich habe mich auch nicht auf gestern nacht festgelegt, sondern Boone für den siebten, achten und neunten Mai um erhöhte Aufmerksamkeit gebeten. Habt ihr zusätzliche Leute auf die Straße geschickt?«
»Ja«, antwortete Thorsen säuerlich. »Tatsächlich hatten wir sogar gestern abend, während das Ganze passierte, einen Lockvogel im Cameron Arms.«
»Scheiße«, sagte Delaney.
»Er hielt sich in der Diskothek auf, weil er annahm, daß der Killer logischerweise an einem solchen Ort versuchen würde, Kontakt aufzunehmen. Wir können einfach nicht jede Bar, Cocktail-Lounge, Diskothek und Lobby in ganz Manhattan unter Bewachung stellen. Wir brauchten eine Armee, wenn wir das tun wollten.«
»Ich weiß. Aber es ist ärgerlich, so nahe dran gewesen zu sein.«
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie du herausgefunden hast, daß es letzte Nacht passieren könnte.«
»Das ist eine lange Geschichte. Du solltest lieber noch einen Drink nehmen.«
Der Admiral zögerte nur einen Augenblick. Schließlich sagte er: »In Ordnung. Nach allem, was ich in den letzten zwölf Stunden durchgemacht habe, steht er mir zu.«
Delaney wiederholte alles, was er vorher schon Monica mitgeteilt hatte: wie er langsam auf den Gedanken gekommen war, der Hotel-Ripper könne eine Frau sein, was für Recherchen er angestellt hatte und wie sie seine Theorie stützten. Schließlich fügte er noch die zusätzlichen Argumente an, die der Modus operandi des Täters ihm geliefert hatte.
Etwa in der Mitte seines Vortrags holte er zwei Zigarren aus der
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