Die Drohung
schaffen? Was haben Ihnen die zwei Millionen Menschen getan, die Sie in den Tod schicken wollen? Auf das Geld kommt es Ihnen nicht an, ich weiß … es ist ein Nebenprodukt und das Honorar für Ihren Partner, der diese Wahnsinnseier anfertigte. Sie handeln aus Haß! Wen hassen Sie?«
»Um Ihnen das zu erklären, brauchte ich mehr als ein paar Minuten am Telefon.«
»Wir haben Zeit, Sir.«
»Wollen Sie Beichtvater spielen?«
»Wenn es Ihnen hilft?«
»Sie denken, ich sei krank?«
»Ja. Ein vernünftiger Mensch kann nicht zwei Atombomben zünden.«
»Was ist mit Hiroshima und Nagasaki?«
Holden starrte an die Wand. Das ist doch nicht möglich, dachte er plötzlich. So etwas gibt es nicht. Ein politischer Narr?! Mein Gott, das übertraf an Gefährlichkeit alles, was denkbar war.
»Damals war es eine Kriegsnotwendigkeit. Ein Entscheidungsschlag. Ein Ende mit Schrecken … aber endlich ein Ende! Ich glaube nicht, daß heute noch ein Staatsmann zu diesem Mittel greifen würde. Im übrigen wissen Sie, daß Ihre Plutoniumbomben die hundertfache Wirkung der Hiroshimabombe haben …«
»Das weiß ich. Ich bin aber seit 1945 nicht hundertmal, sondern tausendmal gestorben …«
»Soll das heißen –« Holden hielt den Atem an. »Sie … Sie sind Japaner?«
»Nein. Ich bin Deutscher. Wenn ich Ihnen sage: in Dortmund geboren, so können Sie das glauben, aber es stimmt nicht. Ich bin spurlos. Wollen Sie meine Geschichte hören? Sie ist lang, man könnte ein Buch daraus machen, und jede Seite wäre so furchtbar, daß niemand, der es liest, auf Jahre hinaus zum Schlafen kommen würde. Ich will Ihnen eine Kurzfassung erzählen. Ich weiß nicht, ob Sie alles begreifen, denn es sind die Jahre, die zurückliegen, die zählen, und die muß ich Ihnen vorenthalten bei dieser Zeitraffung. Beginnen wir 1945. Ich lebte damals als junger … na, verschweigen wir meinen Beruf … ich lebte in Japan. In Hiroshima. Mir ging es gut, ich war ein fröhlicher Mensch, ich war verliebt, Suzuki hieß sie, ein mandeläugiges Mädchen, zierlich wie eine Porzellanpuppe, man konnte vor ihr sitzen und sie anstaunen und begriff nie, daß so etwas lebte, ein Mensch war, zu lieben verstand, mir allein gehörte. Wir wollten heiraten. Zu Weihnachten. Da warf am 6. August 1945 einer Ihrer Bomber die Atombombe ab. 240.000 Menschen starben in einer explodierenden Sonne. Auch Suzuki – ich habe sie nie wiedergefunden. Ich selbst hatte ein Haus außerhalb der Stadt … ich sah den Blitz, ich stand gelähmt vor dem Rauchpilz, und mich trafen mit der nächsten Wolke die radioaktiven Strahlen. Seitdem sterbe ich … jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr ein Stückchen mehr. Sie glauben es nicht? Nach medizinischen Erfahrungen müßte ich längst tot sein! Aber ich habe in diesen Jahren eine eigene Behandlungsmethode entwickelt; ich kann den Tod nicht besiegen, ich kann ihm nur davonrennen, schneller, als er mir nachkommt, aber einmal holt er mich ein, das ist sicher.«
»Er holt uns alle ein, Sir«, sagte Holden nüchtern.
»Wissen Sie, was es bedeutet, 27 Jahre lang zu sterben? Neunzehnmal habe ich an mir Transplantationen vorgenommen.«
»Sie sind also Arzt?«
»Ich bin nichts. Ich bin ein Ding, ein Phantom, ein Monstrum, es gibt für das, was ich bin, keinen Namen. Der Mensch in mir ist am 6. August 1945 gestorben, zusammen mit Suzuki.«
»Das alles ist kein Grund, jetzt München in die Luft zu sprengen. Ausgerechnet München, das mit Hiroshima nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Ich könnte zur Not verstehen – wenn man überhaupt bereit ist, Ihren Gedanken zu folgen –, daß Sie Washington in die Luft jagen! Aber München?«
»Ihre Intelligenz ist begrenzt, Holden.« Der Mann, der Holden langsam unheimlich wurde, schien zu überlegen, wie er seine Rechtfertigung fortsetzen sollte. »Washington träfe die Amerikaner allein. Außerdem wäre es schwer gewesen, für ein solches Unternehmen den Partner zu finden. Ihr Amerikaner seid nämlich nationaler als wir Deutschen. Das sieht die Welt bloß nicht, und ihr wollt es überhaupt nicht wissen, weil ihr euch schämt, wie ein Küken unter den Federn der Mutter Amerika zu schlafen. Wo aber steht in jedem Amtszimmer die Fahne in der Ecke, schräg gelehnt, damit man ja die Farben sieht, wo hängen in jeder Behörde Washington, Lincoln oder der jeweilige Präsident an der Wand, wo legt man, wenn man von seinem Land spricht, sofort ostentativ und mit einem edlen Stolz die recht Hand aufs Herz? Ein Rätsel
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