Die Drohung
die ›Cop-Boys‹. Zwei Abgeordnete des Stadtparlaments boxten bei ihm, ein Abgeordneter turnte am Reck, der Vorsitzende des ›Komitees für Sauberkeit in der Stadt New York‹ übte zweimal wöchentlich mit einem ungarischen Lehrer Florett- und Säbelfechten. Es ist allgemein bekannt, daß die Ungarn vorzügliche Fechter sind.
Es war unmöglich, Cortone auf legalem Weg etwas anzuhängen; und ebensowenig fühlte sich Dulcan als Besitzer der Milchladenkette ›Latteria Italia‹ angreifbar. Die italienischen Milchgeschäfte hatten sich in New York einen Ruf erworben, der dem Syndikat zu denken gab. Dulcan wie auch Cortone, zu freundschaftlichen Besprechungen in das Hauptquartier der Cosa Nostra geladen, trafen dort gute alte Bekannte wieder, man sprach sogar italienisch miteinander, diskutierte den Tod von Lucky Luciano im europäischen Exil und fand es ganz vernünftig, daß man einen Betrag aushandelte, der monatlich in die Syndikatskasse zu zahlen war. Dafür empfing man die Garantie einer völligen wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Auch Streitigkeiten untereinander wurden dem Syndikat gemeldet und von diesem auf dem Weg der Vermittlung geregelt. »Kein Aufsehen«, war der erste Satz aller Gebote. Die Macht in der Stille. Vertragt euch … ihr seid alle Brüder, denkt an Mamma Italia.
Für Dulcan war es deshalb auch unmöglich, Harvey Longs genau zwischen den Augen durchlöcherten Kopf auszustellen und zu beklagen. Noch weniger konnte ihm ein christliches Begräbnis gestattet werden, denn dazu brauchte man einen Arzt, einen Totenschein, ein amtliches Papier. Ein Arzt aber, der eine Lungenentzündung oder einen Herzinfarkt feststellt, wenn in der Stirn ein kreisrundes Loch gähnt, war mit Sicherheit nicht aufzutreiben, es sei denn beim Syndikat. Dorthin aber konnte man sich nicht wenden, wollte man die Privatdiskussion zwischen Cortone und Dulcan nicht offiziell zur Sache der Cosa Nostra machen.
Dulcan erinnerte sich an 1931, als man einen Toten aufrecht stehend in das Fundament eines Hauses eingegossen hatte. Jedes normale Grab konnte durch Zufall entdeckt werden, selbst in alte Benzinfässer mit Beton eingemauerte Tote, waren wieder zum Vorschein gekommen … den Mann im Fundament konnten nur noch die Posaunen des Jüngsten Tags befreien.
Zwei Spezialarbeiter Dulcans übernahmen es, Harvey Long den ewigen Frieden zu geben. Da die ›Latteria Italia‹ immer und an vielen Orten neue Läden baute, schaffte man Long nach Harlem, wo Dulcan einen neuen Supermarkt für Milcherzeugnisse erstellte, goß ihn – diesmal liegend – in einen Betonquerbalken (nicht tragend) des Kellergeschosses ein und markierte die Stelle durch einen dünnen Strich im frischen Beton.
»Er war ein treuer Mensch«, sagte Dulcan voll Pietät. »Wir werden diesen Balken später grün streichen. Harvey liebte das Grün frischer Wiesen.«
Das war gestern gewesen. Heute lag Lucretia, bereit zum Abtransport, am Schwimmbeckenrand. Dulcan blickte auf die Uhr.
»Fahren wir«, sagte er.
Housman und er hoben die formvollendete Gestalt auf, nahmen sie wie eine Rolle unter den Arm und trugen sie hinaus.
»Cortone wird sie zu Tode prügeln«, sagte Housman, als er neben Dulcan in den weißlackierten Lieferwagen der ›Latteria Italia‹ kletterte.
»Das glaube ich nicht.« Dulcan setzte eine moderne, sechseckige, goldumränderte Brille auf. Ein Tribut an das Alter. Mit sechzig verschwimmt auch der Blick eines sizilianischen Helden. »Cortone wird ihr die Füße küssen, sie baden, ohrfeigen und dann ins Bett nehmen. Bei ihm verschmelzen die beiden gefährlichsten Gefühle miteinander: Liebhabersehnsucht und Vaterkomplex. Das macht ihn blind.«
Der weiße Milchwagen, der im abendlichen Verkehr hinüber nach Manhattan und weiter nach Brooklyn fuhr, fiel nicht auf. Die Milchwagen der ›Latteria Italia‹ gehörten zum Stadtbild. Und außerdem ist der Mensch von Natur aus zu naiv, um hinter einer Milchautotür eine betäubte schöne Frau zu vermuten.
Um 22.17 Uhr luden Dulcan und Housman die verführerische Lucretia an einem Hinterausgang der Sportschule Cortone ab. Dann rief Dulcan von einer Telefonzelle aus seinen Jugendfreund an.
»Mauri –« sagte er freundlich – »bei dir beginnen die Orangen zu blühen! Sieh einmal vor der Tür Nr. 7 nach.«
»Von Orangen bekomme ich Sodbrennen. Danke.« Cortone drückte auf einen Knopf. Jetzt lief das Gespräch über einen Lautsprecher, und Platzer, der in einem Sessel saß und in einem Magazin
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