Die Drohung
einmal nach, wer könnte bei einem so guten Whisky mitmachen? – Sie müssen zugeben, Helga: Wenn eine Flasche so zu einem spricht, das geht an die Seele. Ich habe sie also in die Tasche gesteckt und bin hierher gekommen.«
»Warum ausgerechnet zu mir?«
»Ich wüßte in München keinen Platz, wo man eine so gute Flasche Whisky würdiger trinken könnte.«
Holden setzte sich, schlug die Beine übereinander und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf den Tisch. In seinen Augen lag die stumme Frage. Helga nickte.
»Ja, ich erwartete Besuch.«
»Wie gut, daß man die deutsche Sprache beherrscht. Sie sprechen im Präteritum. Der Besuch kommt also nicht mehr?«
»Er ist da.«
Es war nicht leicht, Holden verstummen zu machen, aber diese nüchterne Feststellung verschlug ihm die Sprache. Er faltete stumm die Hände über den Knien und sah zu, wie Helga aus dem Kühlschrank eine Platte mit fertigen Sandwichs hervorholte und zwei Gläser aus dem Regal nahm. Als sei das alles selbstverständlich, nahm sie ihm gegenüber Platz und betrachtete Holden mit ihren kühlen, etwas hochmütigen Augen. Ein Blick, an dem so manche männliche Initiative abgeprallt war. Auch Holden, von Frauen verwöhnt und sieggewohnt, spürte etwas von der Schwere der Aufgabe, die er sich vorgenommen hatte. Es war ein seltenes, aber merkwürdig angenehmes Gefühl.
»Sie haben mich erwartet?« fragte er, als Helga die Flasche aufschraubte und eingoß.
»Ja.«
»Wieso?«
»Ein Mann, der wie ein Spürhund eine Spur aufnehmen will – und die Spur ist mein Bruder –, muß automatisch dort erscheinen, wo die Spur beginnt. Einem Polizeihund hält man ein Kleidungsstück des Gesuchten an die Nase und sagt: Such! Such! – Warum sollten Sie anders sein?« Sie machte eine weite, alles umfassende Armbewegung. »Sie finden alles hier, was Sie brauchen. Nun fangen Sie an.«
»Mit Trinken? Bitte.« Holden hob sein Glas. »Auf das kälteste Mädchen zwischen Nordpol und Südpol!«
»Haben Sie erwartet, daß ich Ihnen um den Hals falle?«
»Nicht so direkt. Aber ich habe auch nicht gedacht, daß man sie mit einem Laserstrahl auftauen müßte. Wissen Sie übrigens, daß Laserstrahlen das einzige Mittel sind, um Eisberge zu durchbohren? Sekundenschnell?«
»Sie betrachten sich als Laserstrahl? Wieviel Sekunden geben Sie sich?«
Holden blickte auf seine Armbanduhr. Ein Chrommodell, 15 Dollar nur, aber genau gehend und sogar wasserdicht. Sie hatte den südamerikanischen Urwald überlebt und einen Einsatz in Kuba. Ein treuer Kamerad, der sogar weitertickte, als Holden ohnmächtig im Sumpf lag und langsam versank. Nackte Indianer, deren Sprache er nicht verstand und die vielleicht noch nie einen Weißen gesehen hatten, zogen ihn heraus aus der stinkenden grünbraunen Brühe, trugen ihn in ein Pfahldorf und fütterten ihn mit in Asche gegarten Vögeln. Damals hatte ihm die Chromuhr das Leben gerettet, denn als er wieder bei Kräften war, merkte er an den Vorbereitungen im Dorf, daß man eine große Sache mit ihm vorhatte. Bis er dem Häuptling, einem alten Mann mit breiten Gesichtsnarben, die Uhr zeigte, das tickende Wunder ans Ohr legte und ihm den kleinen, vorwärtsschnellenden Sekundenzeiger vorhielt. Einer Eingebung folgend, erklärte Holden mit vielen Zeichen und Armbewegungen, daß an einem Punkt, den das tickende Ding erreichte, die Sonne untergehen würde. Der Häuptling verstand, setzte sich vor die Hütte und starrte geduldig in den Himmel. Der Dschungelwald verdunkelte sich, die Abendvögel kreischten, der Abend brach herein, als habe jemand das Licht ausgeknipst. Holden zeigte auf seine Uhr. Die Zeiger lagen genau auf der vorher bestimmten Stelle. Das war ein Wunder – ein weißer Mensch kommandierte die Nacht!
»Sechzig«, sagte Holden jetzt.
»Also eine Minute?« Helga Bergmann griff nach einem Sandwich. In ihren Augen tanzte ein Funke. »Um das Brot zu essen, brauche ich mehr als sechzig Sekunden.«
»Ein kleines, armes, unschuldiges Sandwich.« Holden sprang plötzlich auf. Es geschah so unverhofft, so völlig aus dem Nichts heraus, daß Helga seine Nähe erst registrierte, als es schon zu spät war. Sie sah das belegte Brot in einem hohen Bogen zur Wand fliegen und spürte erst dann, daß er es ihr aus der Hand geschlagen hatte. Im gleichen Augenblick umfaßten sie seine Arme, rissen sie hoch, drückten sie an seine breite Brust, und wenn sie jetzt noch an Abwehr gedacht hätte, wäre es bestimmt zu spät gewesen. Sie spürte seine Lippen
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