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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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temperamentvoller Vormittag. Auf das Mittagessen verzichtete Beutels. Statt dessen ließ er Bossolo aus der Zelle holen. Der kleine Italiener erschien mit lautstarkem Protest. Immer Volkslieder singen ermüdet, und jeder Protest zerbricht an der Zeit. Das war die Antwort von Beutels, als die Zellenwache sich beschwerte, der Italiener singe Tag und Nacht. Auch Hans Bergmann in der Nebenzelle war ruhig geworden. Er saß an seinem Tischchen und schrieb. Papier und einen Bleistift hatte Beutels ihm erlaubt. »Ziehen Sie vom Leder!« hatte er gesagt. »Nach dem 27. August dürfen Sie alles veröffentlichen. Trösten Sie sich mit Karl May. Auch aus ihm wurde im Gefängnis ein Volksdichter! Sie haben eine große Karriere vor sich, Bergmann.«
    »Ein paar Fragen«, empfing Beutels freundlich den gestikulierenden Bossolo. »Nimm Platz, mein Römer, eine Zigarette? … Nein? … Auch gut. Protestiere weiter, es hilft dir nichts!«
    »Ich wünsche meinen Konsul!« schrie Bossolo heiser.
    »Ich serviere ihn dir auf einer silbernen Platte, wenn du mir sagst, was du in New York bei Maurizio Cortone getan hast.«
    Bossolo verdrehte schaurig die Augen, eine Meisterleistung, mit der er schon als Kind Mitleid erregt hatte. Beutels zeigte sich wenig beeindruckt, zuckte aber zusammen, als Bossolo laut schrie:
    »Ich kenne New York nicht.«
    »Und Cortone?«
    »Nie gehört!«
    Es erschien Bossolo als das beste, bei dieser Version zu bleiben. Im Keller des Münchner Polizeipräsidiums zu leben, war wenigstens ein Leben mit der sicheren Hoffnung, wieder herauszukommen. Von Cortone zu erzählen, war mit Sicherheit der Anfang vom Ende, die Begrenzung des Lebens auf jenen Zeitabschnitt, in dem man auf der Flucht vor Cortones Rache sein würde. Es war eine Zukunft, von der Pietro Bossolo nie geträumt hatte und mit der auch seine Familie in Kalabrien nicht einverstanden gewesen wäre.
    »Es ist gut«, sagte Beutels gelangweilt. »Wir haben alles überprüft. Es stimmt. Du wirst übermorgen wieder entlassen.«
    Verstört tappte Bossolo in seine Zelle zurück. Er verstand die Welt nicht mehr. Bisher hatte er die Deutschen als Inbegriff der Gründlichkeit bewundert und gefürchtet, und es war ihm auch klar gewesen, daß seine New Yorker Vergangenheit ans Licht gezogen würde … dann hätte man gestanden, überführt, nicht freiwillig, das konnte auch ein Cortone nicht übelnehmen … aber jetzt? Überprüft und nichts gefunden? Ins Leere gestoßen, bei einem Pietro Bossolo? Das verstand er nicht, und er saß lange grübelnd auf seiner Pritsche.
    Merkwürdig – plötzlich schmeckte auch seine für übermorgen angekündigte endgültige Freiheit sauer wie abgestandener Wein.
    Sie belügen mich, dachte Bossolo. Sie belügen mich alle! Ich werde auch auf meine 10.000 Dollar Belohnung verzichten. Zurück nach Kalabrien, ein Jahr verstreichen lassen, sich ausruhen, weg vom Fenster sein, in der Sonne liegen und genießen, daß man lebt. Dafür hat man genug verdient in München und genug gespart.
    Er beschloß, sofort nach seiner Entlassung zum Hauptbahnhof zu fahren und den nächsten Zug nach Italien zu besteigen. Eine Dummheit macht man nur einmal. Ausnahmen darin bilden nur die Politiker.
    Am Nachmittag dieses Tages erschien nach kurzem Anklopfen der Kunstmaler Anton Harlinger im Appartement des sowjetischen Handelsreisenden Lepkin.
    Lepkin lag auf der Couch, rauchte eine englische Zigarette, las in dem deutschen Magazin ›Der Spiegel‹ und ließ sich von leiser Radiomusik berieseln. Er sah kurz zur Seite und zeigte auf einen Sessel am Fenster.
    »Nehmen Sie Platz, Iwan Prokojewitsch.«
    »Eine wichtige Neuigkeit, Stepan Mironowitsch: Bossolo wird übermorgen freigelassen.«
    »Sieh an.« Lepkin richtete sich auf und warf den ›Spiegel‹ weg. »Die Tage der Ruhe sind vorbei. Ist alles vorbereitet, Genosse Smelnowski?«
    »Wie gewünscht, Genosse Major.«
    »Sie haben einen schalldichten Raum?«
    »Ich habe einen Hobbykeller ausgebaut, in dem ich Schießübungen veranstalte. Man hört keinen Schuß außerhalb des Kellers, nicht mal eine Nagan. Eine menschliche Stimme zu hören, wäre unmöglich.«
    »Bedenken Sie, Bossolo wird nicht flüstern.«
    »So laut ist kein menschlicher Kehlkopf, Genosse, wie eine Nagan.«
    »Ich werde mich mit Holden über alte Zeiten unterhalten.« Lepkin sprang von der Couch, drückte die Zigarette aus und trat ans Fenster. Unter ihm wälzten sich die Autoschlangen zur Stadt hinaus. Büroschluß. Trotz U-Bahn und

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