Die Druidengöttin
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Wir sind gerade erst aus Wales hier angekommen.«
»Seid Ihr in London des Geschäfts oder des Vergnügens wegen?«
»Weder noch. Meine Cousins begleiten mich zum Haus meines Vaters. Ihr müßt wissen, meine Mutter trat erst kürzlich die ...« Keely hielt erschrocken darüber inne, was sie beinahe verraten hätte. »Ich werde bei meinem Vater in London leben.«
»Wer ist Euer Vater?« fragte Richard.
»Ein Engländer.«
Richards Mundwinkel zuckten. »Das vermutete ich bereits. Ich frage nur, da ich ihn möglicherweise kenne.«
Keely zwang sich zu ihrem gewinnendsten Lächeln. »Londons Gassen sind voll von Engländern.«
Obwohl er sich für unübertroffen darin hielt, andere auszuhorchen, mußte Richard sich überrascht eingestehen, daß sie seine Frage nicht wirklich beantwortet hatte. Er versuchte es erneut. »Werdet Ihr Euch länger im Gasthof Zum Hahn aufhalten?«
Keely schüttelte den Kopf. »Morgen früh werde ich meinen Vater aufsuchen.«
»Lady Keely, Eure ungewöhnliche Schönheit hat mir große Freude bereitet«, verabschiedete sich Richard und verbeugte sich, während er ihre Hand hielt. »Ich bin sicher, wir werden uns Wiedersehen.« Ohne ein weiteres Wort verließ der Graf die Schenke.
Keely starrte ihm hinterdrein, konnte den Blick nicht losreißen von seinem Rücken, diesem großartigen, ungemein männlichen Rücken. Um Odo und Hews willen hoffte sie aufrichtig, daß sie sich nie wieder sehen würden. Und doch ...
Keely seufzte. Von etwas zu träumen, das nie sein konnte, war sinnlos.
»Er ist fort«, hörte sie Odo sagen.
»Wir sind in Sicherheit«, fügte Hew hinzu. »Du kannst aufhören zu zittern.«
Es kostete Keely große Mühe zu lächeln. Obwohl sie seit dem gestrigen Abend nichts gegessen hatte, drehte sich ihr beim Anblick des Eintopfs der Magen um. »Ich fühle mich nicht wohl«, erklärte sie. »Ich gehe nach oben. Laßt es euch schmecken.«
Sie griff nach ihrer Tasche, erhob sich und bahnte sich einen Weg durch die überfüllte Gaststube. Mit wackligen Knien stieg sie die Stufen zum ersten Stock hoch und ging den Gang entlang zu ihrem Zimmer.
Keely machte sich nicht die Mühe, eine Kerze anzuzünden, sondern ging quer durch das dunkle Zimmer zu ihrem Bett, wo sie die weiße Robe aus der Tasche zog und sich darin einwickelte, als böte ihr dieses Gewand Sicherheit.
Keely blickte auf das Bett und seufzte. Nach dem aufregenden Auftreten des Grafen und mit der erschreckenden Aussicht vor sich, morgen ihrem Vater gegenübertreten zu müssen, war sich Keely sicher, daß ihr heute Nacht der Schlaf verwehrt blieb.
Sie legte sich dennoch auf das Bett, und ihre Gedanken reisten durch Raum und Zeit nach Wales. Erinnerungen an ihre Kindheit und ihre wunderbare Mutter füllten die kleine Kammer. Keely dachte daran, wie Megan und sie, ungeachtet der Jahreszeit oder des Wetters, durch die Wälder rings um die Liegenschaften der Lloyds gewandert waren, um die göttliche Natur zu erforschen. Jeden Nachmittag saßen sie zusammen unter den mächtigen Eichen, wo ihre Mutter den goldenen Faden des Wissens an sie weitergab.
Die Tränen stiegen Keely in die Augen und rollten ihr über die Wangen. Ihre Sorgen hatten sie übermannt. Sie weinte hemmungslos, bis sie vor Erschöpfung einschlief.
Keely wachte in diesen zauberhaften Minuten vor der Dämmerung auf. Im Zimmer war es kühl, ein typischer frischer Septembermorgen. In ihre weiße Robe gehüllt, ging Keely zu dem kleinen Fenster und blickte hinaus. Im Osten war der Himmel in flammendes Rot getaucht, der Morgen dämmerte.
Sie wandte den Blick ab von dem Flammenmeer am Himmel und den engen Gassen zu. Zivilisation? dachte Keely. Wie konnten diese Engländer überhaupt atmen? Ihr war, als würde dieses Gedränge in Londons Straßen ihr die Luft zum Atmen rauben.
Keelys Gedanken wanderten zu dem Mann, den sie heute treffen würde.
Was für ein Mensch ihr leiblicher Vater wohl war? Konnte sie wirklich als Tochter eines englischen Herrn glücklich werden? Es schien ihr eine absurde Vorstellung, doch ihre Mutter hatte es so vorausgesehen.
Rotgelbe Flammenzungen bemächtigten sich des Himmels, krochen höher und höher. Die aufgehende Sonne, die jeden Morgen anders war, schien an diesem schicksalsträchtigen Tag besonders kraftvoll. War das ein gutes Omen?
Keely zog sich die Kapuze über den Kopf. Wenn sie nur draußen sein und die aufgehende Sonne spüren könnte!
»Myrddin, Größter unter den Druiden,
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