Die Druidengöttin
segne mein Gebet«, begrüßte Keely die aufgehende Sonne. Um ihr näher zu sein, preßte sie die Hände gegen die Fensterscheibe und sang: »Vater Sonne küßt Mutter Erde.«
Nach diesem Morgenritual setzte Keely sich auf die Bettkante und versuchte, sich auf das bevorstehende Treffen mit ihrem Vater zu konzentrieren. Unglücklicherweise tauchte vor ihrem geistigen Auge ein rothaariger Graf auf, und dieses Bild erinnerte sie an die Gefahr, in der ihre Cousins Odo und Hew schwebten. Der Graf von Basildon hatte gesagt, die beiden kämen ihm bekannt vor, es war also nur eine Frage der Zeit, bis er erkannte, daß ihre Cousins die Missetäter waren, die ihn ausgeraubt hatten.
Keely dachte über die Klemme nach, in der sie steckte. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, daß sie einen Zauberkreis bilden und um eine Gnade bitten konnte. Eine einzige Gnade – würde sie um mehr bitten, würde das die Großzügigkeit der Göttin verletzen.
Keely seufzte. Sie hatte eigentlich um die Anerkennung durch ihren Vater bitten wollen, aber nun drohte ihren Cousins Lebensgefahr – die Rache des Grafen. Die Wahl, vor der sie stand, war keine Wahl.
Keely holte aus ihrer Tasche ein schwarzes Säckchen hervor und leerte die heiligen Steine in ihre Hand. Sie wählte neun davon aus: für ihre spirituelle Führung einen weißen Achat, zwei dunkle Karneole sollten sie zuversichtlich machen und sie beschützen, zwei Rosenquarze der Heilung wegen, zur Stärkung der hilfreichen Macht zwei schwarze Obsidiane und zwei violette Berylle, um Unglück zu verhindern. Dann zog sie ihre kleine goldene Sichel aus der Tasche.
In der Mitte des Zimmers legte sie mit den Steinen einen Kreis. Nur den weißen Achat und die goldene Sichel behielt sie in den Händen. Nachdem sie den Kreis von Westen aus betreten hatte, schloß sie ihn mit dem Achat und sagte: »Störende Gedanken bleiben draußen.«
Während sie den Kreis im Uhrzeigersinn innen umrundete, deutete sie mit der goldenen Sichel auf den unsichtbaren Rand und schloß ihn. Sie suchte die Kreismitte auf, blickte nach Osten und flüsterte: »Steine der Macht, der Liebe und der alten Überlieferung, helft meinem Zauber, ich bitte darum … Geist meiner Ahnen, Geist meines Stammes, Geist meiner Reise, hilf mir auf deine Weise. Beschütze Odo und Hew. Laß Richard Devereux vom Fluß des Vergessens trinken, ohne Schaden zu nehmen.« Mit geneigtem Kopf fügte sie hinzu: »Dank diesen heiligen Steinen, den verehrten Geistern und dieser Sichel aus Gold.«
Nun ging Keely zum Westende des Kreises, hob den Achat auf und brach so den Bann. Nachdem sie die restlichen Steine eingesammelt und in ihren Beutel gesteckt hatte, setzte sie sich wieder auf die Bettkante, um über ihren Vater nachzudenken und zu warten.
Mittags stiegen Keely und ihre Cousins im Hof von Talbot House, Londons großartigstem Herrenhaus, vom Pferd. Keely blickte auf und sah die Sonne hoch am wolkenlosen, blauen Himmel stehen. Sie wußte, daß die Mittagssonne sie von nun an stets an den Tag erinnern würde, an dem sie zum ersten Mal ihrem Vater gegenübertrat.
»Vielleicht hätten wir unsere Sachen doch im Gasthof zurücklassen sollen«, meinte Odo, der sich nur allzu gut daran erinnerte, wie es ihnen in Schloß Ludlow ergangen war.
Keely schüttelte den Kopf. »Wenn Robert Talbot sich weigert, mich anzuerkennen, reiten wir nach Wales zurück.«
»Bist du dir da sicher?«
»Daran gibt es nichts zu rütteln.«
»Ich hoffe nur, daß der Graf, den wir ausgeraubt haben, nicht hier irgendwo in der Nähe wohnt«, warf Hew ein, während er sich nervös umblickte. Ihr Gastwirt hatte ihnen erzählt, daß alle englischen Edelmänner in Londons feinster Gegend, dem Strand, wohnten.
»Mach dir deshalb keine unnötigen Sorgen«, beruhigte Keely sie. »Ich habe die Göttin angerufen, euch zu schützen.«
»Nur zu schade, daß du sie nicht gebeten hast, uns unsichtbar zu machen«, brummte Hew.
»Nun, ich habe einfach nicht an eine Tarnkappe gedacht«, schmunzelte Keely.
»Schäkert hier nicht herum«, mischte Odo sich ein. »Es ist Zeit, daß du deinen Vater triffst, Kleines.«
Bei diesen Worten wurde Keely leichenblaß, doch sie nickte. Sie war so bereit wie nie zuvor. Zusammen betraten sie und ihre Cousins die herzogliche Residenz. Zu ihrer Überraschung trat ihnen niemand in den Weg, und niemand stellte ihnen unangenehme Fragen. Innerhalb des Hauptfoyers eilten Diener hin und her, und ein paar bewaffnete Wachen standen an der Wand und
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