Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden
geöffnetem Mund und weiß anscheinend nicht, welchem Zweck Messer und Gabel dienen. Die ersten Schüler sind fertig und rennen raus. Sie sind pikiert, dass sie warten sollen, bis alle gegessen haben. Viele reich belegte Brötchen landen im Abfall. Stepan fällt es schwer, nach dem Essen die Tische abzuwischen. Wahrscheinlich hat der kleine Prinz noch nie einen Putzlappen berührt. Er hält das klatschnasse Teil zwischen zwei spitzen Fingern und sieht ganz grün im Gesicht aus. »Bei uns zu Hause machen das die Frauen«, beklagt er sich bei meinem Kollegen. Der verkneift sich die heimliche männliche Solidarität, weil er auch keinen Ärger mit mir will. Gleich nach dem Abendessen gibt es ein Klassengespräch über das Benehmen bei den Mahlzeiten. Leider muss dieses Gespräch mehrfach und nachdrücklich wiederholt werden.
Beim Gute-Nacht-Sagen stellen wir fest, dass zwei Jungen auf den nackten Matratzen liegen. Es war ihnen zu anstrengend, die Bettlaken aufzuziehen. Andere finden das tägliche Waschen zu anstrengend. Als Ersatz benutzen sie jede Menge Deospray. Der Flur riecht wie eine explodierte Drogerie.
Wir Lehrer müssen bei jeder Gelegenheit erziehen, mahnen und schimpfen. Unsere Regeln werden eher als unverbindliche Vorschläge angesehen. Fast nichts funktioniert ohne Druck und Zwang. Auf der Landstraße hintereinander gehen? »Wieso das denn? Die Autofahrer sehen uns doch.« Beim Kanufahren aufeinander warten? So ein Quatsch. Als die letzten Boote im Wasser sind, paddeln die ersten längst außer Hörweite. Strenge Vorschriften beim Radfahren? Wie albern. Finn übt neben einem Lastwagen ein paar Vollbremsungen und fährt fröhlich plaudernd neben seinem Freund her. Wie immer halten wir unsere Versprechen: Die Klasse muss die Fahrräder in die Jugendherberge schieben.
Bei einer Erkundungstour gehen unsere Schüler voraus. Sie hinterlassen eine deutliche Spur aus hart gekochten Eiern, Bananenschalen und Papiertüten. Alle paar Minuten halten wir die Klasse zum Mülleinsammeln an. Kein Abend vergeht ohne Mahnungen und »aversive Reize« (»Strafen« sind in der modernen Erziehung ja verpönt…). Selbst als erfahrener Lehrer ist man verblüfft, welche Selbstverständlichkeiten man thematisieren muss.
Täglich leidet ein Kind unter Bauch-, Kopf- oder Heimweh, muss ein weinendes Mädchen getröstet werden. Wie eine Krankenschwester verteile ich morgens auf Wunsch einiger Eltern Pillen und Globuli und überwache die Einnahme. Erstaunlich, wie »krank« Kinder heutzutage sind.
Bauchschmerzen und Diarrhoe müssen natürlich gerade dann auftreten, wenn wir nur von Landschaft und Wasser umgeben sind. Weit und breit keine Toilette. Auf keinen Fall geht Denise hinter einen Baum! Arne steht im schwankenden Dreierkanu und brüllt. Er hat eine Spinne gesehen! Den großen, kräftigen Jungen hat eine richtige Panikattacke erfasst. Wir brauchen eine Viertelstunde mit therapeutischem Gespräch und nachweislichem Spinnenmord, ehe Arne schwer atmend bereit ist weiterzupaddeln. Keine Nacht können wir durchschlafen. Die ständige Unruhe nervt auch etliche Schüler, die morgens blass und übernächtigt aussehen. Die Drohung, früher abzureisen, beschert uns immerhin eine ruhige Mahlzeit. An dem Abend diniert eine religiös gefestigte Erwachsenengruppe mit im Heim und ist ganz angetan von unserer angenehmen und gut erzogenen Klasse. In ihren Gesichtern steht die stumme Frage: Warum klagen Lehrer eigentlich immer über ihren Job?
Am letzten Abend entdecken einige Jungen die einheimische Konkurrenz. Glücklicherweise bleibt es nur bei verbalen Drohungen. Wir können die kampfbereite Dorfjugend, die vorm Heim Stellung bezieht, mit sanften Worten zum Abdrehen bewegen und sind heilfroh, dass wir am nächsten Tag endlich abreisen.
Schade, dass Eltern nicht als unsichtbare Zuschauer auf so einer Klassenfahrt dabei sein können. Nicht nur Ballermänner und Fußballfans fühlen sich in der Gruppe stark und sicher, auch schüchterne Schüler wandern nachts durch den Notausgang ins Freie oder stellen sichauf Klobrillen, um die Aktivitäten in der Nachbarkabine beobachten zu können – obwohl in der 7. Klasse die anale Phase eigentlich abgeschlossen sein müsste.
»Sieh mal, da könnten wir mit unserer Klasse auch mal hin!« Mein Kollege zeigt mir einen bunten Prospekt. Ich verdrehe die Augen. »Nie wieder Klassenfahrt!« – Nie wieder? Eigentlich müssten unsere Schüler einmal im Vierteljahr so eine Fahrt machen, um soziales
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