Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
Vom Netzwerk:
verschluckt.«
    Ein Blick genügte ihm, um zu erkennen, dass der Henker tot war.
    »Wer zum Teufel war das?« Cornelius sah seine Freunde an. Er schnaubte vor Wut.
    »Kommt, Esther.« Wyland half ihr auf die Beine. »Geht es mit dem Laufen?«
    Sie bejahte mit einem Kopfnicken.
    Inzwischen waren einige Ratsbedienstete aus ihren Schreibstuben geeilt und blickten ebenso hilflos wie verblüfft auf das Geschehen.
    »Holt die Bürgermeister!«, ordnete Cornelius mit befehlsgewohnter Stimme an. Er ging zu Wyland und Esther hinüber. »Ich hoffe, Euch ist nichts geschehen?«
    »Nein, Herr, habt Dank. Es geht schon wieder.«
    »Du solltest sie nach Hause begleiten. Wir werden uns hier um alles kümmern.«
    »Wir hätten ihn schützen müssen«, sagte Wyland leise. Cornelius nickte stumm.

    Sie waren schon fast am Hause Benjamins angekommen, als Wyland die junge Frau fragte, weshalb sie ihn im Rathaus aufgesucht habe.
    »Ich wollte Euch bitten, mit meinem Vater zu sprechen und ihn davon zu überzeugen, dass wir Köln nicht verlassen müssen.«
    Wyland blieb stehen und umfasste ihren Arm. »Ihr habt selbst gesehen, wie weit es in dieser Stadt schon gekommen ist. Nicht einmal vor einem Mord direkt im Rathaus schrecken sie zurück. Ihr seid hier nicht mehr sicher.«
    Esther wollte etwas erwidern, wusste jedoch nichts zu sagen. Vor der Haustür des jüdischen Geldverleihers blieben sie stehen.
    »Habt Dank für die Begleitung«, brachte sie hervor, die Hand schon auf dem Türknauf, und ging dann in den Flur des Hauses hinein.
    Ohne den Vater zu begrüßen, lief sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer, griff nach ihrem Gebetsschal und legte ihn sich um. Danach kniete sie sich nieder und begann, verwirrt und unkonzentriert zu beten. Hunderte, sogar Tausende Male hatte sie die immer gleichen Gebetsverse in ihrem Leben schon gesprochen und Adonai um seine Güte und seinen Beistand angerufen. Stets hatte sich dabei ein Gefühl der Geborgenheit wie ein wärmendes Tuch um sie gelegt. Doch heute schienen ihr die Worte leer, kalt und seelenlos zu sein. Sie verstand nicht, wie sich ihr gesamtes Leben innerhalb weniger Wochen so hatte verändern können. All der Hass und die Angst, die sie nun in den Augen der Menschen sah, denen sie begegnete, die Gewalt, mit der sie vorhin von dem Fremden zu Boden geschleudert worden war. Und dann die Sorge in den Augen ihres Vaters, die ihr mehr Furcht einflößte als alles andere. Zwar bemühte er sich in ihrer Gegenwart immer um ein Lächeln, doch vermochte er sie damit nicht zu täuschen. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie den Höchsten nach dem Grund für all das Leid fragte. Doch sosehr sie auch in sich hineinhörte, schien er ihr diesmal keine Antwort geben zu wollen. Esther beendete ihr Gebet und erhob sich zittrig. War Adonai heute stumm, weil sie selbst nicht dazu in der Lage war, ihn zu verstehen, und nur zu einfältig, sich dies einzugestehen? Mit einem Seufzer legte sie den Gebetsschal zusammen, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ging nach unten, um ihrem Vater von dem Geschehen im Rathaus zu berichten. Er würde es ja ohnehin erfahren. Behielte sie ihr Wissen für sich, käme zu seiner Sorge auch noch die Enttäuschung über sein eigenes Kind hinzu. Wenigstens diese wollte sie ihm ersparen.

[home]
    32 . Kapitel
    D u wartest hier!« Margrite schob Anna in einen der hintersten Winkel der Arkadenbögen am Rathaus. »Nur wenn ich selbst dich holen komme, trittst du unter den Bögen hervor, hörst du?«
    Anna nickte. Trotz des warmen Sommertages war ihr eiskalt. Seit sie am Morgen durch die Stadt gehetzt war, war die Angst nicht mehr von ihr gewichen, und die Tatsache, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, warum sie vor einem der Räte erscheinen sollte, hatte diese noch einmal verstärkt.
    »Hast du verstanden?«, vergewisserte sich die Seifensiederin noch einmal und suchte dabei den Blick der Jüngeren.
    »Ich habe Angst.«
    »Mir ist auch nicht gerade wohl, Anna. Doch glaub mir: Wenn du dich eines Verbrechens schuldig gemacht hättest, wäre es mir auch mit all meinem Geschimpfe gewiss nicht gelungen, die Büttel zum Gehen zu bewegen.« Sie tätschelte Annas Wange. »Es wird schon werden, Liebes.«
    Mit diesen Worten wandte sie sich ab und verschwand durch die schwere Tür des Bremer Rathauses.
    Es war Jahre her, seit sie zuletzt in dem Gebäude gewesen war. Aber sie erinnerte sich noch ganz genau daran. Es war der Tag, an dem ihr von den Stadtoberen die Bürgerrechte

Weitere Kostenlose Bücher