Die Duftnäherin
einschüchtern konnte. Und so lockerte er seinen Griff, tätschelte ihren Arm und fuhr in versöhnlichem Ton fort: »Ich versichere Euch, dass Eurer Freundin nichts geschehen wird. Ihr habt mein Ehrenwort darauf.«
Margrite nahm mit Befriedigung zur Kenntnis, dass er vom abwertenden Duzen wieder zur höflicheren Anrede übergegangen war.
»Ihr sagtet vorhin dem Bürgermeister, dass Ihr in Euer Haus wollt?«
Er nickte.
»Dann erwartet uns dort.«
»Wann?«
»Erwartet uns einfach.« Mit diesen Worten wandte sie sich zur Treppe und stieg gemächlichen Schrittes die Stufen hinab. Bemüht, weiterhin eine Gelassenheit auszustrahlen, die sie nicht besaß, nickte sie dem Büttel im unteren Flur zu und ging dann durch die Rathaustür ins Freie. Eilig huschte sie unter den Arkaden hindurch und gab Anna, die in ihrem hintersten Winkel kaum auszumachen war, einen Wink, bevor sie schnell um die nächste Häuserecke bog. Anna war sogleich an ihrer Seite.
»Was hat er gesagt? Was will er von mir?«
»Komm, hier entlang.« Margrite zog die Jüngere am Arm, lief mit ihr durch kleine Gässchen und blieb erst stehen, als sie sichtlich außer Atem war.
»Er wollte es mir nicht sagen, doch es schien ihm sehr wichtig, dich zu sehen.« Sie spähte um die Ecke die Straße hinunter. »Er erwartet uns in seinem Haus.«
»Wo ist das?«
»Dort hinten. Doch dorthin werden wir nicht gehen. Er muss hier entlangkommen. Es ist helllichter Tag, und er wird wahrscheinlich ohne Begleitung sein.« Sie reckte erneut den Hals. »Still. Da kommt jemand. Das könnte er sein.«
Anna presste ihren Rücken gegen die kalten Steine der Hauswand und bemühte sich, ruhig und langsam zu atmen. Was für ein Interesse konnte ein hoher Ratsherr nur an ihr haben? Bei dem Gedanken, dass er sie womöglich für sich gewinnen wollte, wurde ihr ganz anders. Aber sie würde keinem alten Mann zu Willen sein! Die Erinnerung an einige Kumpane ihres Vaters stieg in ihr auf, an die Blicke, die sie ihr zugeworfen hatten. Angewidert verzog sie das Gesicht. Aber ein Blick auf Margrite genügte, um sie zu beruhigen. So kurz sie die Freundin auch kannte, so genau wusste sie doch, dass diese sie niemals einem alten, vor Wollust sabbernden Greis ausliefern würde.
Wie aus dem Nichts stand die Frau, mit der von Goossen soeben im Rathaus gestritten hatte, plötzlich vor ihm. Sogleich begannen ihn die Schmerzen in seiner Brust erneut zu peinigen. Allein die Aussicht, was sie ihm zu sagen hatte, ließ ihn ruhig bleiben.
Ohne ein Wort machte sie eine Bewegung mit der Hand, worauf die junge Frau, die er auf dem Marktplatz von seinem Podest aus erblickt hatte, hinter der Hausecke hervortrat.
»Hier ist das Mädchen, das Ihr zu sprechen wünschtet.«
Er wollte der jungen Frau in die Augen sehen, doch sie hielt den Blick starr zu Boden gerichtet. Ob seine Stimme ihm in diesem Augenblick wohl gehorchen würde? Er räusperte sich, suchte nach Worten, doch obwohl er sonst stets forsch und gewandt auftrat, wusste er auf einmal nicht, wie er sich verhalten sollte. Zögernd streckte er ihr seine Hand entgegen.
»Anna. Dein Name ist Anna, nicht wahr?« Es klang ruhig und zärtlich.
Sie hob den Kopf. Der fremde Mann, der nun vor ihr stand, schien nicht mehr derselbe zu sein, der noch vor kurzem mit so sicherer, klarer Stimme zu den Menschen auf dem Marktplatz gesprochen hatte. Dieser hier wirkte zerbrechlich und bittend, seine ausgestreckte Hand wartete auf eine entgegenkommende Geste von ihr.
»Ihr kennt meinen Namen?«
Die blauen Augen, in die er nun sah, lösten eine Welle der Erinnerung aus. Er schluckte schwer und war kaum fähig, den Schauern, die ihm wieder und wieder über den Körper liefen, Einhalt zu gebieten. Sein Blick fiel auf seine Hand, die er der jungen Frau noch immer in der Hoffnung, sie würde sie ergreifen, entgegenstreckte. Doch sie tat es nicht. Schließlich zog er sie zurück und versuchte sich zu sammeln.
»Ja, Kind, ich kenne deinen Namen.«
»Woher?«
Diese Stimme, dieser Blick. Ihre Haare waren unter einem schwarzen Tuch verborgen, und doch sah er sie vor sich. Es gab keinen Zweifel, sie war das Ebenbild ihrer Mutter. Was sollte er ihr sagen, um sich zu erklären? Wie sollte er ihr beibringen, wer er war, ohne dass sie sich wegen der Schuld, die er auf sich geladen hatte, sofort wieder von ihm abwandte? Noch immer sah sie ihn in Erwartung einer Antwort an.
»Ich kannte deine Mutter«, brachte er hervor.
Wieder nur dieser Blick, die Augen, die ihn
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