Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
Vom Netzwerk:
ihr davon erzählt, wie ihre Mutter als kleines Mädchen gewesen war, und einige, fast vergessen geglaubte Erinnerungen mit ihr geteilt. Nur eines wollte er Anna nach wie vor nicht sagen: wer ihr leiblicher Vater war. Sie hatte von Goossen nur so viel aus der Nase ziehen können, dass ihre Mutter sich in einen Mann verliebt hatte, den sie – aus einem Grund, den ihr der Großvater nicht nennen wollte – jedoch nicht hatte heiraten können. Weit mehr als ein Jahr hatten sich Katharina und ihr Geliebter, der Erinnerung Siegberts nach, heimlich getroffen. Er selbst erfuhr erst von dieser Liebschaft, als seine Tochter nicht mehr umhinkonnte, sie ihm zu gestehen. Sie war in anderen Umständen, und Siegbert außer sich vor Wut. Nie hätte er gedacht, dass ihn seine Tochter so hintergehen könnte. Doch heute, so gestand er Anna mit stockender Stimme, würde er anders handeln. Damals jedoch hatte er darauf bestanden, dass Katharina den Geliebten nicht mehr traf, und seine eigene Tochter fortgeschickt. Und um sicherzustellen, dass Katharina sich auch daran hielt, und darüber hinaus ihre Ehrlosigkeit nicht offenbar werden zu lassen, hatte er sich des jungen, ehrgeizigen Kerls, der für ihn arbeitete, bedient. Helme war sicher nicht der Mann, den er sich für seine Tochter gewünscht hatte. Doch er war bereit, die Schwangere zu ehelichen, so er denn von dem alten Siegbert entsprechend dafür bezahlt wurde. Außerdem sollte er dafür Sorge tragen, dass Katharina nie mehr nach Bremen zurückkehren würde. Dafür, und um der Tochter und der Enkelin des Ratsherrn ein auskömmliches Leben bieten zu können, erhielt er einmal jährlich einen Betrag, von dem selbst ein Mann gehobenen Standes gut hätte leben können. Und immer, so berichtete Siegbert, wenn Helme ihn über einen Boten um mehr Geld bat, hatte er im Stillen gehofft, dass er seiner Tochter und Enkelin das Leben dadurch wenigstens etwas erleichtern würde. Doch nun, nachdem ihm Anna einen Einblick in ihr vergangenes Leben in Lünen gewährt und ihm von der Art und Weise berichtet hatte, mit der Helme ihre Mutter und sie behandelte, schien der alte Mann binnen weniger Augenblicke um Jahre gealtert zu sein. Stockend bat er sie um Verzeihung für die Verbannung und das Leid ihrer Kindheit, für die Lügen, die er ihrer Mutter aufgezwungen hatte, für den vermeintlichen Vater, den er für Anna ausgesucht hatte, und zuletzt auch dafür, dass er selbst nicht einmal zur Beerdigung seiner eigenen Tochter gekommen war, als ihn die Nachricht ihres Todes zusammen mit einer neuerlichen Geldforderung Helmes erreicht hatte.
    Es gab noch so vieles, über das sie sprechen mussten, erkannte Anna, während sie vor dem Fenster an ihrem Kleid weiternähte. Am meisten beschäftigte sie jedoch die Frage, wer ihr leiblicher Vater war, dem so dringlich verboten worden war, sich zu seiner Liebe zu ihrer Mutter zu bekennen. Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufblicken. Schon betrat Gawin die Stube.
    »Hier sitzt du also gemütlich am Nähen, während ich den ganzen Tag in der Werkstatt zu schuften habe.« Es klang scherzhaft, und doch versetzten seine Worte Anna einen Stich.
    »Ich war auch nicht untätig, das kann ich dir versichern.«
    Er bemerkte, dass sie seine kleine Neckerei nicht gut aufgenommen hatte.
    »Das weiß ich doch. Es war nicht böse gemeint.«
    Er ging zu ihr hinüber und neben ihrem Stuhl in die Hocke. »Und, woran arbeitest du?«
    »An einem Kleid, wie du siehst.« Sie wollte ihm weiterhin die kalte Schulter zeigen, schaffte es aber nicht, als sie sein Gesicht so nah an ihrem spürte. »Die Farbe steht dir nicht. Du brauchst es also gar nicht so begehrlich zu betrachten.«
    Er grinste sie ob ihrer Frechheit breit an. »Du bist ganz schön unverschämt, kleine Schwester. Dabei bin ich hier der Mann im Haus. Sieh dich also vor, mich derart zu veralbern.« Er hob gespielt drohend die Faust.
    Anna legte den Daumen und den Zeigefinger um seinen Oberarm und prüfte seine Muskeln. »Ich würde sagen, da dürfte eher Margrite der Mann im Haus sein.« Beide prusteten los.
    »Und, was hast du heute so gemacht?«
    Anna legte das Kleid beiseite. Sie hatte Gawin bisher nichts von Siegbert erzählt, weil sie erst hatte abwarten wollen, wie sich die Dinge entwickelten. Da sie ihren Großvater nun aber schon zum dritten Mal besucht hatte und einzuschätzen vermochte, dass die Familienbande nicht mehr durch ein unbedacht ausgesprochenes Wort zerschnitten werden konnten, hielt sie nun den

Weitere Kostenlose Bücher