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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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Zeitpunkt für gekommen, Gawin vom Alten von Goossen zu berichten.
    So erzählte sie ihm von ihrer Begegnung auf dem Marktplatz, dem anschließenden Gespräch auf der Straße und schließlich von ihrem und Margrites Besuch in Siegberts Haus, bei dem ihr dieser die bestehenden Zusammenhänge erklärt hatte. Auch den heutigen Nachmittag ließ sie nicht unerwähnt, wenn sie auch nicht im Einzelnen erzählte, was ihr Großvater ihr anvertraut hatte, zumal sie sich selbst erst noch über das ein oder andere klarwerden wollte.
    »Moment mal«, bat Gawin. »Hast du ihm auch von mir erzählt? Ich meine, weiß er, dass wir uns als Geschwister ausgeben?«
    Anna nickte. »Er weiß es und hat herzlich über unsere Idee gelacht.« Sie verstellte ihre Stimme und brummte: »Na, dann hab ich jetzt also nicht nur eine Enkelin, sondern auch noch einen Enkel bekommen, was?«
    »Das hat er gesagt?«
    »Ganz recht. Du solltest mich bei meinem nächsten Besuch begleiten, Gawin. Glaub mir, du wirst ihn mögen. Er hat falsch an meiner Mutter gehandelt, dennoch ist er ein sehr herzlicher Mann.«
    »Heute Nachmittag war ein Priester im Auftrag des Bischofs in der Werkstatt und ließ mir über Jordan ausrichten, dass ich eine Madonna schnitzen soll. Handelt es sich dabei vielleicht zufällig um einen Einfall, den du deinem Herrn Großvater in den Kopf gesetzt hast?«
    Anna strahlte übers ganze Gesicht. »Dass er so schnell seine Kontakte spielen lassen würde, habe ich nicht erwartet. Aber das ist ja wunderbar! Und, was sagst du?«
    Gawin presste die Lippen aufeinander. »Gar nichts. Dem Priester konnte ich sowieso nichts sagen, weil der Meister ihn sofort wieder fortgeschickt hat, und mit dem alten Jordan selbst war nicht zu reden. Für ihn bin ich nichts weiter als sein Lehrling und kein Bildhauer.«
    »Aber das durfte er nicht.«
    »Doch, das darf ein Meister bei seinem Lehrjungen durchaus. Bei einem Lehrjungen, der Bänke zimmert, statt eine Statue der Mutter Gottes zu schnitzen.« Es klang bitter.
    Gawin erhob sich und streckte seine Glieder. »Aber warten wir erst einmal ab, was noch kommt. Im Moment haben wir in der Werkstatt ohnehin so viel zu tun, dass ich mich keinen Augenblick mit etwas anderem beschäftigen könnte. Wir bräuchten dringend noch einen weiteren Zimmermann. Doch Jordan sagt, dass dort draußen nur Taugenichtse herumlaufen, die sich für ehrliche Arbeit zu schade sind.«
    »Er scheint mir nicht ganz einfach zu sein, dein Meister.«
    »Wem sagst du das?« Er streckte sich abermals. »Ich bin vollkommen geschafft und werde jetzt erst einmal gehen und mir den Holzstaub vom Körper und aus den Haaren spülen. Wollen wir danach gemeinsam essen?«
    Anna lächelte. »Ich habe uns etwas gekocht.« Sie klang stolz.
    »Wirklich?«
    »Ja, Siegbert meinte, mir zumindest schon einmal Geld für die drei Kleider geben zu müssen, die ich ihm heute Nachmittag vorbeigebracht habe. Es war sehr viel, doch er war sich sicher, das Geld und sogar noch mehr von den Käuferinnen wieder hereinzubekommen.« Sie hob ihre Schürze an, in der darauf das Klimpern von Münzen zu hören war. »Ich habe die Kleider genäht und dafür genau die Summe Geld bekommen, die Siegbert verlangen wird, wenn er sie weiterverkauft. Mein erstes Handelsgeschäft.« Es klang stolz. »Von dem Geld habe ich für das heutige Abendessen eingekauft und es auch schon zubereitet. Es gibt Braten und frisches Brot, das für alle reicht. Nur weiß noch niemand etwas davon. Ich wollte euch alle überraschen.«
    Sie erhob sich nun ebenfalls und senkte etwas verlegen den Kopf.
    »Du bist zauberhaft, weißt du das?« Gawin machte einen Schritt auf sie zu, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie mitten auf den Mund. Eben noch überschwenglich und gelöst, überkam ihn plötzlich ein seltsames Gefühl, dennoch wollten sich seine Lippen nicht von den ihren lösen. Und Anna schien es ebenso zu gehen. Mit großen Augen starrten sie einander an, während ihre Lippen sich noch immer berührten. Doch dann machte Gawin ruckartig einen Schritt zurück.
    »Entschuldige bitte.«
    Anna überspielte ihre Verlegenheit, indem sie meinte: »Warum sollte ein Bruder seine Schwester nicht küssen dürfen?«
    »Vielleicht weil er gar nicht ihr Bruder ist?« Gawins Stimme klang rauh und tief. Sein Blick war fest auf Anna gerichtet. Es war das erste Mal gewesen, dass er sie geküsst hatte. Nun befürchtete er, das freundschaftliche Verhältnis, das zwischen ihnen bestand, könnte sich dadurch

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