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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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vielleicht trüben.
    »Nicht doch.« Sie spielte mit ihren Fingern.
    »Ich wollte nicht zerstören, was wir haben, Anna. Bitte verzeih.«
    »Schon gut«, wiegelte sie nochmals ab.
    Er trat wieder einen Schritt auf sie zu, so dass er ganz dicht vor ihr stand. Ihr Blick war noch immer zu Boden gerichtet. Sie wirkte so anziehend auf ihn wie nie zuvor, und tief sog er den Duft ihres Körpers ein, der sich mit dem der vernähten Seife vermischt hatte.
    »Du kannst mich ja nicht einmal ansehen.«
    Langsam hob sie den Kopf. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast, so dicht standen sie voreinander. Es hatte sich etwas verändert, erkannte Gawin. Nie zuvor hatte er so empfunden, wenn er Anna angesehen hatte. Er wollte sie erneut küssen, sie an sich ziehen, doch sein Verstand rief ihm ein so klares Nein bezüglich seiner Gefühle zu, dass er innehielt. Vorsichtig hob er die Hand und strich Anna die Haarsträhnen zurück, die ihr ins Gesicht gefallen waren.
    »Ist wirklich alles in Ordnung?«
    Sie schauderte unter seiner Berührung, wollte und hoffte, dass er sie erneut küssen und berühren würde. Doch sie wusste, dass es falsch war. Es war ebenso falsch wie seinerzeit die Entscheidung ihrer Mutter, sich einem Mann hinzugeben, mit dem sie nicht verheiratet gewesen war. Fast war ihr, als könne sie Katharinas Stimme in ihrem Innern hören, die ihr riet, nicht den gleichen Fehler zu machen wie sie. Sie griff nach Gawins Hand, die er sanft an ihre Wange gelegt hatte, und küsste die Innenfläche.
    »Es ist alles gut zwischen uns.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Und nun geh dich endlich waschen, sonst bekommst du weder Fleisch noch Brot, weil wir anderen dir längst alles weggegessen haben.«
    »Du glaubst gar nicht, wie schnell ich sein kann.« Er zwinkerte ihr zu und verließ den Raum. Anna sah ihm noch nach, als er die Tür schon längst hinter sich geschlossen hatte, und ließ sich dann mit zitternden Knien auf den Stuhl am Fenster sinken. Sie schloss erschöpft die Augen und lehnte ihren Kopf zurück. Das hatte ihr gerade noch gefehlt!

[home]
    37 . Kapitel
    N ichts war mehr wie zuvor. Die Aufräumarbeiten im Judenviertel hatten zutage gebracht, was niemand für möglich gehalten hatte. Es gab keine Juden mehr in Köln. Sie waren fast alle vom wütenden Mob niedergemetzelt worden, und die wenigen von ihnen, die überlebt hatten, waren aus der Stadt geflohen. Wie viele Leichen tatsächlich aus den Häusern und Straßen getragen und in einem Sammelgrab außerhalb der Stadtmauern vergraben wurden, vermochte niemand zu sagen. Zumal die verkohlten Körper, die sich in den niedergebrannten Häusern befanden, gleich zusammen mit dem Bauschutt beiseitegeschafft worden waren. Über der gesamten Stadt lag eine Atmosphäre der Bestürzung und des Entsetzens angesichts der Tatsache, dass so viele Bürger sich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht hatten. Viele hatten selbst Hand angelegt, während andere dem Unrecht entweder nur zugesehen oder es sogar verurteilt hatten, wenngleich auch sie entweder nichts dagegen unternommen oder sich dem Willen der Mehrheit gebeugt hatten. Helden hatte es keine gegeben in jener Nacht.
    Erst als am Tag nach dem Massaker die ganze Grausamkeit menschlichen Handelns beim Begehen des ehemaligen Judenviertels durch die Ratsobersten ans Licht trat, kam es unter den Christen zu ersten Reaktionen. Einige von ihnen übergaben sich unmittelbar auf die vor oder neben ihnen auf der Straße liegenden Toten, die mit ihren verdrehten Armen und Beinen anklagend auf sie zu zeigen schienen.
    Niemand wagte es, die Namen jener auszusprechen, die noch einen Tag zuvor ihre Nachbarn und Freunde gewesen waren. Zu keiner Zeit hörte man einen rufen, dass er den Leib eines Isaak, Benjamin, Jakob oder David gefunden und geborgen habe. Stattdessen hieß es immer nur, dass zehn weitere Opfer der »Judenschlacht« aus den Trümmern gezogen und ins Massengrab transportiert worden waren. Einzig die Kinder der Christen verstanden nicht, warum die ihnen bekannten Namen nicht mehr laut ausgesprochen werden durften. Weshalb auch der ein oder andere Name eines toten Judenkindes trotzdem fiel und wie der Schlag der Domglocke in den Ohren der Erwachsenen dröhnte.
    Einhergehend mit den Aufräumarbeiten im Judenviertel waren die Menschen dazu übergegangen, ihre an der Pest verstorbenen Familienmitglieder nun nicht mehr wie zuvor außerhalb der Stadtmauern zu begraben. Deren tote Leiber wurden nun achtlos auf die Straße

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