Die Duftnäherin
Ablehnung wurden laut, lediglich Albrecht brachte mit einem Kopfnicken zum Ausdruck, dass er Cornelius’ Entscheidung begrüßte.
Im Saal herrschte nach wie vor Stille.
»Gut. Wir sind keine Marktweiber, sondern Ratsherren. Die Kölner Bürger erwarten zu Recht von uns, dass wir wieder geordnete Zustände in der Stadt herstellen. Darin besteht unsere Aufgabe.« Er machte eine bedächtige Pause und ließ seine Eingangsworte wirken. »Wenn also einer unter uns ist, der diese Verantwortung nicht länger auf seinen Schultern tragen möchte, mag er nun aufstehen und den Saal verlassen.«
Er wartete, ob jemand gewillt war, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Doch niemand erhob sich.
»Köln geht in einem Sumpf von Gewalt unter. Deshalb müssen wir handeln, und zwar sofort. Um geeignete Maßnahmen ergreifen zu können, müssen wir jedoch erst einmal verstehen, wie es überhaupt zu dem derzeitig herrschenden Zustand von Gesetzlosigkeit kommen konnte. Ich habe es begriffen und weiß eine Antwort darauf.«
Gebanntes Schweigen herrschte im Raum.
»Die Antwort lautet: ungesühnte Schuld!« Er schritt mit den Händen auf dem Rücken hinter den Stühlen der Männer entlang. »Niemand wurde bislang für das, was den Juden angetan wurde, angeklagt und für schuldig erklärt. Es gibt niemanden, auf den die Menschen zeigen und spucken, keinen, den sie mit Missbilligung und Verachtung strafen können. Nicht einer der Bürger wurde für das, was geschehen ist, verantwortlich gemacht. Und warum nicht?« Er ließ die Frage eine Weile im Raum stehen und meinte dann: »Weil es zu viele waren. Es mag sogar sein, dass jemand in diesem Saal an der Schlachtung beteiligt war. Doch muss er fürchten, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden? Nein! Denn er war ja nur einer in der Menge, einer von vielen. Und das ist genau die Botschaft, die wir den Menschen nach dem Massaker gegeben haben. Mordet und vergewaltigt ruhig, brandschatzt und stehlt! Keiner wird euch dafür zur Rechenschaft ziehen.«
Cornelius kehrte mit ruhigen Schritten zum Stuhl des Ratsvorsitzenden zurück. Leises Gemurmel kam auf, während er wie ein Adler seinen zornigen Blick über die Männer schweifen ließ.
»Und was schlägst du vor?«, fragte Albrecht.
»Wir müssen aufdecken, wer den Aufstand angezettelt und immer noch weiter angeheizt hat – und ihn danach vor Gericht stellen.«
»Dafür müssten wir aber erst mal wissen, wer der- oder diejenigen waren«, meinte nun ein zweiter Ratsmann.
»Ich weiß, wer es war«, stellte Cornelius klar. Seine Stimme klang rauh und belegt. »Es war mein eigener Bruder Egidius.«
Einer der Ratsmänner war aufgesprungen und drohte Cornelius mit der Faust.
»Du bezichtigst deinen Bruder, der nicht mehr unter uns weilt und sich nicht mehr wehren kann, dieser Tat?« Der Kandelgießer beugte sich in seinem Stuhl nach vorn und fixierte Cornelius mit seinem Blick.
Kurz packte Cornelius das schlechte Gewissen bei dem Gedanken, dass er sogleich zu einer Lüge, wenn auch zu einer Notlüge, Zuflucht nehmen würde. Doch irgendjemand musste schließlich handeln, und die jammernden und klagenden Männer, die er hier vor sich sah, waren dazu ganz sicher nicht in der Lage, das wusste er.
»Er hat es mir gestanden, in den letzten Momenten, die der Herr ihm noch auf Erden gab, bevor er in meinen Armen starb.«
Totenstille erfüllte den Raum.
»Er wollte sein Gewissen erleichtern, in der Zeit, die ihm noch blieb. Und so gab er zu, aus Verzweiflung über seine Schulden bei den jüdischen Geldverleihern Hetze gegen diese betrieben zu haben. Er hat den Prediger bestochen, mit den Seinen das Schauspiel vor dem Dom aufzuführen. Und weil dieser ihn kannte, gab er auch den Auftrag, ihn im Kerker zum Schweigen zu bringen, damit er nicht mehr gegen ihn aussagen konnte. Auch der Schlüsselmeister und der Henker gehen auf sein Konto.«
»Hast du ihn deshalb getötet?«
Die Frage hatte Cornelius nicht erwartet. Langsam schüttelte er den Kopf.
»Nein, das habe ich nicht. Ich habe seinen Mörder noch gesehen und auch verfolgt, konnte ihn aber nicht mehr einholen. Es war derselbe Mann, der die drei Morde für ihn begangen hat. Als Egidius wieder zur Besinnung kam und dem Rat gegenüber seine Schuld gestehen wollte, hat der andere ihn getötet.«
»Wer ist der Mörder?«
»Ein angeblicher Freund meines Bruders, ein paar von euch kennen ihn. Egidius selbst hat ihn in sein Haus aufgenommen und in unseren Kreis eingeführt. Er stellte sich euch als
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