Die Duftnäherin
geworfen, damit sie von den Karren, die die gemeuchelten Juden abtransportierten, gleich mit aufgeladen werden konnten.
Der Rat musste hilflos mit ansehen, wie die Menschen taten, was sie für richtig hielten, ohne noch auf vorgeschriebene Vorsichtsmaßnahmen, Anstand oder gar Moral zu achten. Die Schlacht im Judenviertel hatte alles, was in der Stadt an Ordnung und Gesetz herrschte, außer Kraft gesetzt. Während die einen nach dem Massaker beschämt und bestürzt waren, taten andere wiederum, was ihnen zu ihrem persönlichen Vorteil gereichte. Jedwedes Miteinander und jeder Gemeinschaftssinn hatten sich zusammen mit dem Rauch der in Brand gesteckten jüdischen Häuser in Luft aufgelöst. Ein Mann tat des Nachbarn Weib Gewalt an, ein anderer bestahl den schwachen Alten, und Handelsgeschäfte wurden fast gar nicht mehr getätigt, weil ein jeder fürchtete, bereits beim Ausbreiten seiner Waren ausgeraubt und erschlagen zu werden. Köln war zu einem einzigen Ort des Wehklagens geworden, zu einem Ort, in dem Recht und Ordnung keinen Platz mehr hatten.
»Verdammt noch mal!« Die geballte Faust des Ratsherrn sauste donnernd auf den Tisch. »Wir müssen sofort etwas unternehmen. Sonst werden selbst die Letzten, die noch ein bisschen Ehre und Handelswillen im Leib haben, Köln verlassen wie die Ratten das sinkende Schiff.«
»Weil Ihr gerade davon sprecht. Die Schiffe meiden unseren Hafen, wusstet Ihr das?«, ereiferte sich nun ein anderer und streckte die Faust in die Luft. »Es wurden schon Handelsboote überfallen, kaum dass sie am Kai anlegten. So etwas spricht sich herum. Womit sollen wir Handel treiben, wenn wir keine Waren mehr erhalten?«
»Oder sie uns von den Ständen gestohlen werden«, fügte ein weiterer hinzu.
Die Männer sprachen wild durcheinander und gerieten in Streit. Bürgermeister Johann Overstolz von Efferen, der solche Plänkeleien sonst immer schnell zu unterbinden wusste, war nicht zur Sitzung erschienen. Ein Bote hatte die Nachricht überbracht, dass der Edelmann unpässlich sei. Dies wiederum hatte unter den Ratsherren das Gerücht genährt, dass es sich bei dieser Unpässlichkeit um die Pest handele und sie in Kürze wohl auf die Führung ihres Ersten Bürgermeisters verzichten müssten. Sein Amtskollege Eberhard Hardevust schien mit der Lage ebenso überfordert zu sein wie die meisten anderen Ratsherren. Er saß zusammengesunken auf seinem Stuhl und folgte der Sitzung mit teilnahmslosem Blick, unfähig, die Initiative zu ergreifen.
Cornelius blickte sich sorgenvoll um. In den letzten Tagen hatte er bereits mehr Verantwortung übernehmen müssen, als ihm lieb war. Nach dem Tod seines Bruders war es an ihm, sich um die Versorgung seiner Witwe zu kümmern. Eine Aufgabe, die ihm weder freudig noch leicht von der Hand ging. Sie waren so verblieben, dass Mechthild in Egidius’ Haus wohnen bleiben würde und machen könnte, wonach ihr der Sinn stand. Cornelius würde sich in nächster Zeit einen Überblick über die Vermögenslage seines Bruders verschaffen und dafür Sorge tragen, dass Mechthild genug Mittel zur Verfügung standen, damit sie ihr gewohntes Leben weiterführen konnte. Alles andere ergäbe sich dann im Laufe der Zeit.
Nun saß er hier unter den wichtigsten Bürgern Kölns, die in dieser Lage nichts Besseres zu tun hatten, als sich Beleidigungen an den Kopf zu werfen und sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen zu ergehen. In diesem Moment hatte er eine Art Erleuchtung. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er keine Ahnung gehabt, wie man der Vielzahl von Problemen Herr werden sollte. Sämtliche Ordnung war in Auflösung begriffen, wildes Durcheinander und gesetzloses Verhalten die Regel geworden. Es schien geradezu unmöglich, die Kontrolle zurückzuerlangen. Doch nun, vielleicht dank einer Eingabe des Herrn selbst, stand ihm die Lösung auf einmal so klar und deutlich vor Augen, dass er aufstand, um das Wort zu ergreifen. Die Ratsherren um ihn herum hatten sich in Rage geredet und nahmen sein Ansinnen, mit ihnen zu sprechen, überhaupt nicht wahr.
»Ruhe! Sofort Ruhe!« Sein Brüllen hatte etwas von einem wütenden Bären, der sein Gegenüber zum Rückzug mahnt. Mit einem Schlag war es völlig still im Saal, und die Augen aller richteten sich auf ihn.
Mit ruhigen Schritten ging er zum Stuhl des Vorsitzenden hinüber und blieb hinter diesem stehen.
»Wenn niemand die Leitung der Versammlung übernehmen will, werde ich für heute diesen Platz einnehmen.«
Weder Zustimmung noch
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