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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was hinter seiner Stirn vorging.
    »Deine Schwester hat ein loses Mundwerk, mein Junge. Halte sie im Zaum, dann könnt ihr euch für einige Zeit hier verdingen. Bruder Hermannus wird euch zeigen, was zu tun ist.« Er machte auf den Hacken kehrt und verließ den Raum.
    Anna bedauerte augenblicklich, sich eingemischt zu haben. Gawin hatte bis dahin alles im Griff gehabt. Wie leicht hätte ihr ganzer Plan durch ihre Bemerkung schiefgehen können.
    »Du solltest dich besser zurückhalten, wenn ihr nicht im hohen Bogen vor die Tür gesetzt werden wollt. Ein geschwätziges Weib ist das Letzte, was wir hier gebrauchen können.«
    Anna senkte den Kopf und nickte.
    Damit ließ Hermannus die Sache auf sich beruhen. Er erklärte ihnen, wann sie sich zu den Essenszeiten im Refektorium einzufinden hätten, und kündigte ihnen an, dass er einen Mönch mit Tuch und Garnen vorbeischicken würde, der Anna alles Notwendige zeige. So lange solle sie jedoch in der Zelle bleiben und sich ruhig verhalten. Gawin forderte er auf, mit ihm zu kommen. Er wolle ihm das vorhandene Werkzeug zuteilen und ihm darlegen, welche Arbeiten vorrangig zu erledigen seien. Mit einem stummen Blick verabschiedete Gawin sich von Anna und folgte dem Mönch.
    Anna saß auf der Pritsche und vertrieb sich die Zeit damit, ihre Beine baumeln zu lassen. In diesem engen Raum war es nicht mehr weit her mit der Freiheit, die sie noch auf dem Weg hierher verspürt hatte. Doch weit wichtiger war, in Sicherheit und unerkannt zu bleiben. Ihr Vater würde wahrscheinlich schon wieder aus dem Keller Pater Anselms freigekommen sein. Und er würde sie suchen. Bei dem Gedanken lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. Es war nicht so sehr der Tod, der sie schreckte und dem sie zweifellos entgegensah, wenn er sie fände. Es waren vielmehr die Stunden vor dem erlösenden Tod, die ihr eine solche Angst bereiteten, dass es ihr fast den Atem nahm. Sie betete zum Herrn, dass es ihr gelänge, sich sofort ihr Messer in den Leib zu rammen, bevor er ihrer habhaft werden würde. Manchmal, in den verzweifelten Stunden im Kellerloch ihres Hauses, hatte Gott ihr die Gnade zuteilwerden lassen, ihren Körper verlassen zu können. Dann war sie ihrem Gefängnis entflohen und hatte von oben, an der Decke schwebend, auf ihre äußere Hülle hinabgeblickt. Die Dunkelheit war mit einem Mal verschwunden, und sie wähnte sich hoch oben im Baum hinter der Kate, der ihr im Sommer Schatten spendete. So, stellte sie sich vor, würde es auch sein, wenn sie sich den kleinen Dolch ins Herz stieße. Sie würde über allem schweben, ohne Schmerz, Angst und Wut, und auf die Welt und das Unrecht hinabschauen. Ein Lächeln wäre auf ihren Lippen zu sehen, und ein weißes Gewand umspielte ihren Körper.
    Anna erschrak, als unverhofft die Tür der Kammer geöffnet wurde und ein junger Novize, einen Stoffballen mit braunem Tuch unter dem Arm, vor ihr stand.
    »Verzeiht, wenn ich Euch erschreckt habe.«
    »Es geht schon, ich habe geträumt.«
    »Bruder Hermannus ordnete an, Euch dies zu bringen.« Er legte den Ballen samt zusätzlichen Materialien auf die Pritsche, von der sich Anna erhoben hatte.
    »Ihr sollt zunächst hiermit beginnen.« Er entfaltete eine Mönchskutte. »Sobald Ihr ein solches Gewand aus dem Stoff gefertigt habt, lasst nach mir schicken. Aber eilt Euch. Es hat keinen Sinn, langsam zu arbeiten. Wenn Ihr nicht die Fertigkeit besitzt, es in einem Tag fertigzustellen, können wir Eure Dienste nicht gebrauchen.«
    Anna musterte ihn. Er war jünger als sie, vermutlich auch jünger als Gawin, und er machte nicht den Eindruck auf sie, als ob er diese Worte selbst gewählt hätte. Vermutlich war er vom Prior angewiesen worden, so mit ihr zu sprechen. Sie ärgerte sich über sich selbst. Gawin und sie waren erst seit kurzer Zeit in diesem Kloster. Und doch hatte sie es bereits geschafft, den Kirchenoberen zu verärgern. Es war, wie Dietrich, Gerhilds Mann, dem sie in der Schänke oft geholfen hatte, ihr stets gesagt hatte. Für eine Frau besaß sie eine viel zu zügellose Zunge und stellte Fragen, die sie nicht zu interessieren hatten. Anna beschloss, ab heute mehr darauf zu achten und sich fortan zurückzuhalten. Und so widerstand sie auch gleich der Versuchung, den Boten nach seinem Namen zu fragen.
    »Braucht Ihr noch etwas?«
    Anna schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe alles. Und ich werde morgen fertig sein.«
    Der Novize nickte. »Wenn die Glocke geläutet

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