Die Duftnäherin
sicheres Leben führen zu können, und für sein politisches Fortkommen viele Opfer gebracht. Zu viele, wie er sich, seitdem er Anna aufgenommen hatte, eingestehen musste. Bereits nur wenige Wochen, nachdem er Katharina damals fortgeschickt hatte, war ihm die Erkenntnis gekommen, einen entsetzlichen Fehler begangen zu haben. Doch sein Stolz hatte ihn davon abgehalten, einen Boten zu ihr zu senden und seine Entscheidung rückgängig zu machen. Später hatte er den Gedanken dann immer wieder zurückgedrängt und sich selbst zur Ordnung gerufen, an seinen ursprünglichen Zielen festhalten zu müssen. Zwar hatte er des Nachts, wenn der Schlaf nicht über ihn kommen wollte, sich oftmals an der Vorstellung gelabt, sie eines Tages, zusammen mit seiner Enkelin, wieder in den Arm nehmen zu können. Doch alles, was er de facto getan hatte, war, dem Schurken, der seiner in Ungnade gefallenen Tochter ein Dach über dem Kopf und ein erträgliches Leben sichern sollte, monatlich eine Summe Geldes zu schicken. Zwar verlangte dieser um ein Vielfaches mehr als das, was seinerzeit zwischen ihnen vereinbart worden war. Doch das scherte Siegbert nicht. Ihn dünkte es, auf diese Art wenigstens etwas für sein eigen Fleisch und Blut zu tun, denn obgleich die Berichte, die er regelmäßig von Pater Anselm einforderte, auf keinerlei materielle Not schließen ließen, meinte er diesen doch zu entnehmen, dass ein erfülltes Dasein anders aussah. Und auch die Hoffnungen, die er in Annas leiblichen Vater, den jetzigen Bischof, gesetzt hatte, hatten sich nicht im Ansatz erfüllt. Die Macht, die dieser nun besaß, nutzte er fast ausschließlich zu seinem eigenen Wohl und keineswegs zu dem der Stadt. Zwar war er ein williger Befehlsempfänger und tat stets, was Siegbert ihm auftrug, blieb dabei jedoch weit hinter Siegberts Erwartungen zurück. Doch die Möglichkeit, mit Hilfe des Bischofs den Machtkampf zwischen Klerus und Rat um die Vorherrschaft in der Stadt in seinem Sinne zu entscheiden, war ihm im Vergleich zum Verlust seiner Tochter auf einmal nicht mehr wichtig.
All das ging ihm durch den Kopf, während er ruhigen Schrittes durch die Gassen der Stadt ging und fast nicht bemerkte, dass er bereits vor dem Warenlager am Hafen stand, in dem sich nun, sollte sein Plan aufgegangen sein, Marquardt, Gawin und Anna befanden und auf seine Ankunft warteten.
Das Vorhängeschloss, das sonst von außen die Tür sicherte, war fort. Und der Versuch, die Tür zu öffnen, verriet Siegbert, dass sie von innen abgesperrt worden sein musste. Er atmete erleichtert aus. Noch ein Blick in alle Richtungen, dann klopfte er an.
Ohne nachzufragen, wurde der Verschlag geöffnet. Siegbert trat ein und blinzelte in die Dunkelheit.
»Ich habe Euch bereits vom oberen Stockwerk aus kommen sehen«, erklärte Marquardt direkt neben seinem Ohr. »Die anderen sind im hinteren Bereich. Ich wollte kein Talglicht entzünden, um nicht auf uns aufmerksam zu machen. Bleibt nah bei mir.«
Er ging voraus und zeigte Siegbert den Weg. Rechts und links von ihnen stapelten sich Kisten mit Gewürzen, Säcke mit Salz und im hinteren Bereich Fässer mit Butter. Letztere war jedoch kein Verkaufsgut. Vielmehr nutzten findige Geschäftemacher die Butter lediglich als Transportmittel, indem sie angefertigte Glasscheiben tief in diese hineindrückten, um sie auf diese Weise unbeschadet auf die Reise in alle Welt zu schicken.
Gawin und Anna saßen dicht beieinander auf einer Kiste, die Hände in die des anderen verschränkt, und warteten auf das, was nun weiter geschehen sollte.
Siegberts Blick fiel auf ihre Hände, und er wusste sofort, dass da mehr dahintersteckte, als es im ersten Moment den Anschein hatte. Doch jetzt, so befand er, war nicht der richtige Augenblick, sich darum zu kümmern.
»Was ist denn nur geschehen?«, fragte Gawin. »Ich soll mich hier verstecken wie ein Hasenfuß, ohne überhaupt zu wissen, weshalb.«
»Ich werde dir verraten, weshalb«, kündigte Siegbert an und zog eine Kiste heran, auf der er Platz nahm. »Du wirst des Mordes verdächtigt, genauer genommen beschuldigt.«
»Was? An wem?«
Siegbert fiel es sichtlich schwer, die nächsten Worte auszusprechen. »An Jordan.«
Gawins Augen weiteten sich vor Schrecken. »Ich soll das getan haben?«
»Es gibt einen Zeugen. Genau genommen sogar eine ganze Handvoll Zeugen.«
»Aber …«, Gawin suchte nach Worten. »Es kann doch keine Zeugen für etwas geben, das ich nicht getan habe.«
Siegbert beugte sich zu ihm
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