Die Duftnäherin
nickte. »Damit, so wird es heißen, hatte Gawin einen guten Grund ihn zu töten.«
»Das verändert alles.«
Doneldey nickte zum zweiten Mal. »Was schlägst du vor?«
»Wir müssen alle, die als Zeugen benannt wurden, vor den gesamten Rat bringen und verhören lassen.«
»Das ist nicht üblich, und es wird heißen, dass du deine Macht in der Stadt für deine persönlichen Zwecke nutzt. Gerade jetzt, wo alles in Aufruhr ist, könnte dies …«
»Das ist mir egal!«, fuhr Siegbert auf und atmete dann mehrmals tief durch. »Verzeih, Heinrich. Die Sorgen haben mich mein gutes Benehmen vergessen lassen.«
»Ist schon gut, Siegbert. Und du hast recht. So viele Jahre hast du all deine Kraft und sehr viel Geld für das Wohl Bremens aufgebracht. Da ist es nur recht und billig, dass die Stadt und damit der Rat dir nun den dafür überfälligen Dank zollen.«
»Du beschämst mich mit deiner Güte, mein Freund.«
»Ich werde dafür Sorge tragen, dass die Zeugen hergeholt werden. Von der Menge in einer öffentlichen Versammlung auf dem Marktplatz angestachelt, würden sie sich womöglich noch in ihrem Tun bestätigt fühlen. Doch unter den Augen der Großen dieser Stadt zu bestehen dürfte so manch einem dieser Lügner zusetzen.«
»Du nennst sie Lügner? Also glaubst auch du fest an die Unschuld meines Enkels?«
»Er ist dein Enkel, mein Freund, und du glaubst seinen Worten. Damit ist alles gesagt.«
Anna fühlte sich erschöpft, als sie zusammen mit Marquardt das Goossensche Anwesen erreichte. Ihr Großvater hatte ihr aufgetragen, dort auf seine und auch Gawins Rückkehr zu warten, und obgleich sie ihm anfangs widersprochen hatte, war sie zuletzt doch seinem Wunsch gefolgt. Zunächst ging sie in Esthers Zimmer, um nach ihr zu sehen. Als sie die junge Frau dort nicht antraf, ging sie in das Nähzimmer, wo sie die Freundin, ganz vertieft in eine Stickerei, auch fand. Erschöpft ließ sich Anna auf dem zweiten Stuhl nieder.
»Wie geht es dir?«
Esther ließ den Stoff in ihren Schoß sinken. »Besser, ich war heute Morgen nur so erschrocken wie noch nie in meinem Leben. Wo warst du den ganzen Tag? Ich habe mich gesorgt.«
»Gawin wurde verhaftet.«
»Was? Weshalb?«
»Er wird des Mordes an Jordan beschuldigt.«
Fast kam es Esther vor, als treibe Anna einen Scherz mit ihr, so ruhig, wie sie ihr über die unglaublichen Vorfälle berichtete.
»Und das erzählst du mit einer solchen Gelassenheit?«
»Oh, glaub mir, ich bin alles andere als das. Aber ich bin einfach zu erschöpft und kann nur mehr darauf vertrauen, dass Siegbert Gawin zur Seite stehen und sich um alles kümmern wird.«
Esther konnte noch immer nicht fassen, was Anna ihr da erzählte, und meinte nur, wie leid ihr das alles täte und wie sehr sie hoffe, dass sich alles zum Guten für Gawin wenden werde.
Anna nickte. »Aber wir hatten ja noch gar keine Gelegenheit, über das zu sprechen, was sich bei dir heute Morgen ereignet hat. Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich wegen Gawin so schnell gehen musste?«
»Du hattest doch gar keine andere Wahl. Und ich habe mich ja auch so wieder beruhigt.«
Sie erzählte Anna von dem Moment auf dem Marktplatz, in dem sie den Mörder ihres Vaters so unverhofft aus nächster Nähe gesehen hatte.
»Hat er dich auch gesehen?«
»Das glaube ich nicht. Dafür war ich viel zu schnell verschwunden.«
»Gut.«
Esther berichtete weiter, dass Gertrud bereits einen Boten mit Nachricht für Wyland nach Köln geschickt hätte. Nun könne sie nur noch abwarten und würde in nächster Zeit das Haus nicht mehr verlassen.
»Aber«, Anna zögerte, »bedeutet das, du verlässt uns, sobald dieser Wyland da ist, und kehrst nach Köln zurück?«
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich wollte eigentlich nie wieder dorthin, doch wenn der Mörder mir bis hierher gefolgt ist, ist mein Leben in Bremen weit mehr in Gefahr.«
»Doch woher weiß er denn überhaupt, dass du hier bist?«
»Irgendjemand muss es ihm verraten haben.«
»Aber das passt doch nicht zusammen«, widersprach Anna. »Der Einzige, der wissen kann, wohin er dich gebracht hat, ist Wyland. Und er wird demjenigen, vor dem ihr geflohen seid, wohl kaum einen Hinweis gegeben haben.«
Esther sah sie nur an.
»Und außerdem frage ich mich, warum er nach dir gesucht haben sollte. Dass er aus Köln fortmusste, verstehe ich ja, denn nach dem, was du mir über den furchtbaren Tod deines Vaters erzählt hast, ist der Kerl geliefert, wenn die Kölner seiner
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