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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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habhaft werden. Meinst du denn, er ist nach Bremen gekommen, weil er verhindern will, dass du über ihn aussagst?«
    »Wahrscheinlich wird es so sein.«
    »Wir müssen die Anzahl der Wachen erhöhen, und du musst dich, solltest du das Haus doch einmal verlassen, auf Schritt und Tritt von ihnen begleiten lassen.«
    Eben noch erschöpft und niedergeschlagen, weckte die Aufgabe, alles erdenklich Mögliche für den Schutz der Freundin in die Wege zu leiten, neue Lebensgeister in Anna. Sie stand auf und ging nach draußen zu dem Wachmann, der auf dem Korridor neben der Eingangstür seinen Platz eingenommen hatte. Sofort stand er auf, als er die Enkelin seines Herrn auf sich zukommen sah.
    Mit wenigen Worten erklärte sie ihm, dass die Anzahl des Wachpersonals zu verdoppeln sei, ohne ihm Einzelheiten für den Grund dieser Maßnahme mitzuteilen. Er verschwand kurz in der Küche, wohl um dort mit seinem Kameraden zu sprechen, und kam nach wenigen Augenblicken in den Korridor zurück, um Anna zu vermelden, dass alles Notwendige veranlasst werden würde. Zufrieden ging sie wieder ins Nähzimmer.
    »Die Anzahl der Wachen wird erhöht. Glaub mir, der Kerl kriegt dich nicht.«
    »Danke.«
    Das war alles, was Esther sagte, und der Gleichmut, mit dem sie ihre Stickerei fortsetzte, ließ Anna schaudern.

    Draußen war es dunkel geworden, doch der Ratssaal war mit einer Vielzahl von Dochtleuchten hell erleuchtet. Schon seit Stunden wurden die Zeugen jeweils einzeln in den Saal gerufen, um über jede einzelne Begebenheit des vergangenen Tages zu berichten. Sobald einer seine Aussage gemacht hatte, wurde der nächste hereingerufen und befragt. Danach wurden die Angaben der Vernommenen miteinander verglichen, um auf mögliche Unstimmigkeiten zu stoßen. Dabei ergab sich allerdings ein so einheitliches Bild, dass es Siegbert von Goossen graute.
    Die Zeugen behaupteten einvernehmlich, dass Gawin am Nachmittag in der Schänke »Zum roten Ochsen« aufgetaucht sei und den Gerbergesellen, den alle nur den Lautzer nannten, um ein Gespräch gebeten habe. Dieser habe zugesagt, und die beiden hätten sich darauf kurz in einer Ecke miteinander unterhalten, ohne dass einer der Zeugen jedoch mitbekommen hätte, worum es ging. Aber es sei schnell zu einem Streit zwischen den beiden gekommen, und der Lautzer hätte den nun des Mordes Beschuldigten lautstark dazu aufgefordert, sich sein Vorhaben aus dem Kopf zu schlagen. Er habe gebrüllt, von einer solchen Sache nichts wissen zu wollen, und dass es ihm um Gerechtigkeit im Rat ginge, nicht jedoch um die Begünstigung eines Einzelnen. Als sich hierauf einige andere, nämlich die jetzt vor dem Rat erschienenen Zeugen, einmischten und fragten, was ihn so erzürnte, hätte der Lautzer allen laut vernehmlich mitgeteilt, dass Gawin den Mord an seinem Meister und noch weiteren Zunftträgern plane. Dieser sei darauf wutentbrannt aus der Schänke gestürmt. In der Schänke wiederum hätte man daraufhin beraten, ob man ihn beim Rat anzeigen und von seinem Vorhaben berichten müsse. Doch so richtig ernst habe wohl niemand Gawins Vorhaben genommen. Erst als man von den abscheulichen Taten an den Meistern erfahren habe, hätte man erkannt, dass es ein Fehler gewesen war, ihn nicht gemeldet zu haben.
    Auf die Frage der Ratsmitglieder, was die Zeugen denn vermuteten, warum Gawin nicht nur seinen Meister, sondern auch die anderen getötet habe, antworteten diese alle mit den fast gleichen Worten. Gawin habe den Verdacht dadurch auf sie, die Gruppe der Aufrührer, richten wollen, um von sich selbst abzulenken.
    In den Gesichtern seiner Ratskollegen konnte Siegbert ebenso viel Zustimmung wie Misstrauen erkennen. Es war unmöglich vorherzusagen, was sie am Ende glaubten und was nicht.
    Plötzlich wurden draußen Stimmen laut. Fackelschein erhellte die Straße, und Rufe, die zunächst nicht zu verstehen waren, tönten bis in den Ratssaal hinein.
    Die Befragung der Zeugen wurde unterbrochen, einer der Diener ging zum Fenster und sah hinaus. Eine aufgebrachte Menschenmenge hatte sich dort unten versammelt, rief wütende Parolen und streckte die Fackeln wie zum Angriff in die Höhe.
    »Ein Aufruhr, meine Herren«, verkündete der Diener schlicht und öffnete eines der Fenster.
    Nun waren die Worte, die gerufen wurden, deutlich zu verstehen. Bürgermeister Doneldey trat ans Fenster und hob die Hand, um sich Gehör zu verschaffen.
    »Was ist euer Begehr?«
    »Wir fordern Gleichheit und eine öffentliche Verhandlung!«,

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