Die Duftnäherin
brüllte einer hinauf.
»Es wird eine öffentliche Verhandlung geben!«, schrie Doneldey zurück. »Wer das Gegenteil behauptet, lügt!«
»Wäre der Mörder nicht der Enkel eines der Euren, er wäre längst im Kerker!«
»Er ist bereits eingesperrt!«, stellte Doneldey klar.
»Ja! Wahrscheinlich in einem Raum, den selbst Könige nicht als schlecht empfinden würden!« Der Rädelsführer hob drohend seine Fackel. Zustimmendes Gemurmel kam unter den Umstehenden auf.
»Wenn er schuldig ist, kommt er in den Kerker, wie jeder andere auch.«
»Das muss in einer öffentlichen Verhandlung festgestellt werden, nicht hinter den verschlossenen Türen des Rathaussaales.«
»Und so wird es auch sein! Die Befragung ist hiermit zu Ende.« Mit diesen Worten schloss der Bürgermeister das Fenster, gab den anwesenden Saaldienern einen Wink und ließ die Türen öffnen.
»Soll ich notieren, dass die Befragung damit beendet ist?«, fragte der Schreiber.
»Sie ist beendet«, erklärte Doneldey mit laut vernehmlicher Stimme und warf seinem Freund Siegbert einen Blick zu, der diesem bedeutete, dass er unter diesen Umständen nicht anders hatte handeln können. Fast unmerklich nickte der Freund ihm zu und verließ ohne ein weiteres Wort zusammen mit den anderen den Saal.
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46 . Kapitel
F ünf Tage waren seit Gawins Festsetzung vergangen. Die Verhandlung auf dem Marktplatz sollte übermorgen stattfinden. Siegbert hatte einen Advokatus in Dienst genommen. Den besten, von dem er gehört hatte und der in der Kürze der Zeit herbeigeschafft werden konnte. Wieder und wieder waren von Goossen und der Advokatus mit Gawin jede noch so kleine Kleinigkeit durchgegangen, die diesen hätte entlasten können. Der öffentliche Druck auf den Bürgermeister und den gesamten Rat trug nicht gerade dazu bei, die Lage rund um die Verhandlung zu entschärfen. Der Lautzer hatte viele neue Anhänger gewinnen können, indem er sich selbst als Wohltäter darstellte, der für die Rechte der kleinen Bürger kämpfte und damit warb, auch nicht um des eigenen Vorteils willen gemeinsame Sache mit den Reichen zu machen. Da außerdem durchgesickert war, dass Gawin der Alleinerbe Jordans war, kursierten Gerüchte, dass er dem Lautzer gar eine große Summe geboten habe, sollten dieser und seine Anhänger die Morde für ihn erledigen. Auch dass er ihm für den Fall, dass er nicht gemeinsame Sache mit ihm mache, gedroht habe, es so aussehen zu lassen, als ob der Lautzer hinter den feigen Morden stecke. Die Reden hatten sich auf eine Art und Weise verfestigt, die selbst den erfahrensten Advokaten zum Verzweifeln bringen konnte. Die Bürgerinnen und Bürger, deren einziger Gesprächsstoff in letzter Zeit die Pest gewesen war, schienen zu neuem Leben zu erwachen. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von Gawins Verurteilung zu sprechen war noch untertrieben. In den Augen der Menschen war er so schuldig wie der Leibhaftige selbst, ja, es war fast, als könnten sie mit seiner Hinrichtung auch gleich die schlechten Geister vertreiben, die sich in der Stadt niedergelassen hatten.
Siegbert war in den letzten Tagen über die Maßen gealtert. Seine Kraft schien ihn mehr und mehr zu verlassen, und Anna hatte Sorge, dass der mögliche Tod Gawins auch den ihres Großvaters nach sich ziehen könnte. Er schlief kaum noch. Einmal war sie des Nachts wach geworden und hatte ihn unruhig durchs Haus wandern sehen. Nicht in seinen prächtigen Gewändern, sondern im Nachthemd, in dem er so alt und zerbrechlich auf sie gewirkt hatte, dass sein Anblick Anna fast mehr geängstigt hatte als das ihr vor Augen stehende Ende Gawins. Dabei dachte sie kaum noch an etwas anderes.
Esther, die selbst tagtäglich mit der Angst lebte, der Mörder ihres Vaters könnte jeden Augenblick vor dem Haus auftauchen, war ihre einzige Stütze. Mit ungewöhnlicher Tapferkeit verstand sie es, Anna Mut zuzusprechen und sie von ihren traurigen Gedanken abzulenken. Von dem Boten, den sie nach Köln ausgesandt hatten, war noch keine Nachricht gekommen. Allerdings rechneten sie auch nicht vor dem morgigen Tag damit, da er mindestens acht Tage für den Weg nach Köln und wieder zurück nach Bremen benötigen würde. Die ganze Situation schien Anna so verfahren, dass sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Genäht hatte sie schon seit Tagen nicht mehr, und ihre Sehnsucht nach Gawin verursachte ihr schon fast körperliche Schmerzen. All ihre Besuchsgesuche waren abgelehnt worden. Einzig Siegbert, der
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