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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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geschrien hatte, mussten Ewigkeiten vergangen sein, so war es ihm damals wenigstens vorgekommen. Er war zwei Jahre älter als seine kleine Schwester und hätte sie beschützen müssen. Sein Vater hatte nur wenige Meter von ihnen entfernt am Ufer Holz aufgeschichtet und war nach seinem Schrei sofort ins Wasser gesprungen, um die kleine Marie wieder an die Oberfläche zu holen. Irgendwann tauchte er mit ihr auf. Verzweifelt hievte er ihren leblosen Körper aus dem Wasser. Erst da, so erinnerte sich Adolfus, vermochte er es, sich aus seiner Erstarrung zu lösen und dem Vater dabei zu helfen, Marie an Land zu bringen.
    Doch alles Aufwärmen, die vielen Decken und heißen Wickel hatten nichts genutzt. Es dauerte noch einen ganzen Tag, bis sie ihren letzten Atemzug getan hatte und ins Reich des Herrn einging. Und wenn ihm die Eltern auch immer wieder sagten, dass es nicht seine Schuld gewesen sei, wäre Adolfus ihr doch am liebsten gefolgt.
    Er griff nach Annas Hand. Das Gefühl einer göttlichen Eingebung, nein, der eigenen Vergebung durchflutete ihn mit aller Macht. Die Erkenntnis, dass er nach all den Jahren gefunden hatte, wonach er suchte, trieb ihm Tränen der Freude in die Augen. Er hatte sich damals nicht rühren und seine Schwester retten können. Doch nun hatte der Herr ihm die Möglichkeit gegeben, seine Angst zu bezwingen und das Richtige zu tun, ohne dabei die daraus für ihn entstehenden Folgen zu bedenken. Dieses Mädchen würde er retten können, er hatte es bereits getan. Dankbar umschloss er ihre Hand und hielt sie fest in der seinen.
    »Auch Ihr werdet auf ewig in meinem Herzen sein«, brachte er stockend hervor, hin- und hergerissen zwischen dem Schmerz des Abschieds und der Freude, die er darüber empfand, sich selbst überwunden zu haben.
    Gawin legte ihm zum Abschied die Hand auf die Schulter und berührte dann sanft Annas Arm. Wortlos nahm er ihr die Fackel ab und trat durch die geöffnete Felstür in den Gang.
    Anna schluckte schwer. Tränen trübten ihren Blick. Sie legte eine Hand an Adolfus’ Wange. »Lebt wohl!«, flüsterte sie noch, bevor sie schnell in den Gang huschte.
    »Gebt acht, Bruder Adolfus!«, rief Gawin. »Wir schieben jetzt!«
    Mit aller Kraft stemmten sich die beiden gegen die Steintür, die langsam wieder in ihre ursprüngliche Position zurückglitt. Das wenige Licht, das von draußen noch durch die Tür in den Gang fiel, wurde immer schwächer, bis nur noch die brennende Fackel in Gawins Hand den Weg, der vor ihnen lag, erhellte.
    Gawin und Anna hörten noch, wie Bruder Adolfus auf der anderen Seite der Wand den Hebel zum Verriegeln der Tür drückte, und lauschten eine Weile. Aber auf der anderen Seite der Wand blieb alles still.
    »Komm!«, hörte Bruder Adolfus durch die Mauer Gawins Stimme noch sagen, dann sich entfernende Schritte. Er lehnte sich an die Wand und atmete tief durch. Tränen liefen ihm über die Wangen, und er hätte nicht zu sagen vermocht, ob es Tränen der Erleichterung oder des Schmerzes waren.

    Schon vor Tagen war der Bote heimgekehrt, den Bruder Hermannus mit der Nachricht zu Helme geschickt hatte, Anna in seinen Fängen zu haben. Dass der Novize den früheren Kumpan nicht angetroffen hatte, verärgerte Hermannus. Doch in Kürze würde dieser gewiss heimkehren, die von Bruder Stephan dort hinterlassene Nachricht finden und sich sofort auf den Weg zum Kloster machen.
    Außerdem hatte Hermannus für das Wichtigste – dass Helmes Tochter im Klosterkerker festsaß und ihnen nicht mehr entfliehen konnte – ja bereits gesorgt. Anna müsste es nun eben noch ein paar Tage länger dort unten aushalten, bis ihr Vater sie abholen kam.

[home]
    19 . Kapitel
    N och nie in seinem Leben hatte Helme in solch einem prächtigen Bett geschlafen. Mit welcher Einfalt ihm die guten Bürger Kölns seine Geschichten abgekauft hatten, schien ihm noch immer unfassbar. Langsam setzte er sich auf, ließ sich aber sogleich wieder zurück in die Kissen sinken, nachdem ihm sein Kopf in sitzender Position zu platzen drohte. Dieses Gesöff, das die Kölner Bier nannten, war in seiner Wirkung anders als alles, was er bislang an Getränken kannte. In Gedanken ging er den gestrigen Abend noch einmal durch, zumindest den Teil davon, den er in Erinnerung hatte. Diese Dummköpfe hatten geradezu an seinen Lippen gehangen, als er ihnen das Ammenmärchen vom Überfall auf ihn noch einmal detailliert und mit allen Schikanen ausgeschmückt erzählt hatte. Hatte er von acht oder zehn Männern

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