Die Duftnäherin
was soll man tun?« Der Kölner redete sich langsam in Rage. »Sie stehlen und machen den ehrlichen Händlern das Geschäft kaputt, schlimmer noch, sie verleihen das Geld, das sie zuvor von uns erbeutet haben. Für hohe Zinsen, versteht sich. Kaum einer von uns …«, er brach mitten im Satz ab.
Aber der Halbsatz reichte aus, um Helme ahnen zu lassen, dass der Patrizier sich bei einem jüdischen Geldverleiher verschuldet hatte.
»Viele ehrliche Kölner Bürger waren in den letzten Monaten dazu gezwungen, mit diesen kreuchenden Dieben Geschäfte abzuschließen. Und glaubt Ihr etwa, Mutter Kirche steht uns gegen sie bei?«
Offenbar erwartete er keine Antwort.
»Ich will es Euch sagen – sie tut es nicht!« Ärgerlich griff er nach seinem Becher und leerte ihn in einem Zug.
»Was wäre, wenn Ihr einen Zusammenschluss mit den Gilden erwägen würdet?«
»Das wäre ein kräftiges Bündnis, in der Tat. Doch was glaubt Ihr wohl, wie viele der Gildner ebenfalls hohe Schulden bei den Juden machen mussten? Eine ganze Menge! Das wäre nun ein guter Grund mehr, um uns zusammenzuschließen und uns gegen das Pack aufzulehnen, doch was meint Ihr, wird dann passieren, hä? Richtig! Sie würden ihr Geld alle auf einmal mit Zins und Zinseszins von uns zurückfordern. Und keiner von uns könnte das bezahlen. Sie haben uns in der Hand und können uns zerquetschen wie Würmer.«
»Stolze Männer wie Euch zerquetschen? Ich bitte Euch, Egidius. Das kann unmöglich Euer Ernst sein.«
»Oh, doch«, entgegnete der Patrizier bitter, »es ist mein voller Ernst.«
»Aber …« Helme zögerte, bevor er weitersprach, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Aber wenn es nun einen Weg gäbe, die Ratten aus der Stadt zu jagen, ohne ihnen das von ihnen begehrte Futter mitzugeben, was würdet Ihr dazu sagen?«
»Wenn Ihr uns einen solchen Weg aufzeigen würdet, wären wir Kölner Euch zu Dank verpflichtet, das versichere ich Euch. Und die Dankesbezeugungen der Kölner Bürger sind noch immer sehr großzügig ausgefallen.«
Helme hob den Becher und prostete Egidius zu. Hier tat sich ihm eine ungeahnte Möglichkeit auf, die er nicht ungenutzt an sich vorüberziehen lassen wollte. Die Suche nach der kleinen, undankbaren Schlampe, die er aufgezogen hatte, würde daher noch ein Weilchen warten müssen. Denn dieses Geschäft hier könnte sich womöglich als noch ergiebiger und weitaus lohnender erweisen, als es die Zurückführung der »verlorenen Tochter« sein würde.
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20 . Kapitel
T ief sog Anna die frische Luft in ihre Lungen. Obgleich sie bereits einen halben Tagesmarsch strammen Schrittes vom Kloster entfernt waren, gönnten sie sich keine Pause. Zu groß war die Angst, doch noch von den Mönchen eingefangen und ins Verlies zurückgeschleift zu werden. Noch viel zu aufgewühlt von der Flucht, hatten sie nur wenige Worte miteinander gewechselt und hingen stattdessen ihren Gedanken nach. Gawin tastete das Bündel ab, in das Bruder Adolfus ihnen etwas zu essen gelegt hatte.
»Wollen wir eine kurze Rast machen?«, schlug er vor.
Anna wollte schon verneinen, blieb dann aber stehen, um sich erst einmal umzusehen. Die Straße war breit und rechts und links von langgestreckten Grasflächen gesäumt. So weit das Auge blicken konnte, waren weder Mensch noch Tier zu entdecken, geschweige denn Häuser. Und so machte Anna, statt zu antworten, einfach ein paar Schritte zur Seite und ließ sich ins Gras sinken.
Gawin öffnete das zusammengeknotete Tuch, das Bruder Adolfus ihnen gegeben hatte, und breitete es samt den darin befindlichen Speisen vor Anna aus. Vier Äpfel, ein Kanten Brot und etwas Trockenfleisch kamen zum Vorschein. Dann reichte er ihr den Trinkschlauch.
»Ich kenne mich in dieser Gegend nicht aus. Wir können nur hoffen, dass wir bald an einen Wasserlauf kommen.«
»Das werden wir«, sagte Anna.
»Woher willst du das wissen? Warst du denn schon einmal hier?«
Sie schüttelte den Kopf. »Noch nie. Und doch kenne ich den Weg genau. Meine Mutter …«, sie schluckte schwer. »Meine Mutter und einige Reisende, die ich in der Schänke bediente, erzählten mir von diesem Weg.«
Gawin ließ sich neben ihr ins Gras fallen. »Ich weiß fast gar nichts von dir«, stellte er fest.
Anna zupfte ein Stück Trockenfleisch ab. »Da gibt’s auch nicht viel zu wissen.«
»Warum bist du von zu Hause weggegangen?«
Anna schwieg, und auf ihrer Stirn erschien eine tiefe Falte, die sie älter aussehen ließ. Ihre Lippen waren fest
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