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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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weil nun der Abschied von Bruder Adolfus bevorstand, vermochte sie nicht zu sagen.
    »Hier habt Ihr ein kleines Bündel mit Essen und Trinken. Es ist nicht viel, wird Euch aber über die ersten Tage helfen.«
    »Mein Geld!« Der Gedanke durchfuhr Anna siedend heiß und ließ sie an die Stelle ihrer Brust fassen, an der sie den Beutel verwahrt hatte. »Bruder Hermannus hat mir die Geldkatze abgerissen, bevor er mich hier eingesperrt hat. Wir haben keinen Pfennig mehr.«
    »Wir können es nicht riskieren, in seiner Kammer danach zu suchen«, wandte Gawin ein. Tröstend nahm er Anna kurz in den Arm. »Wir werden uns neues Geld verdienen, dort, wo wir leben.«
    »Aber all die Jahre über habe ich Münze um Münze gespart.« Sie schluchzte leise. »Es gehört mir.«
    »Ich weiß«, sagte Gawin. »Doch wenn er uns erwischt und hier unten einsperrt, helfen uns die Münzen auch nichts mehr.« Er ließ seine Worte einen Augenblick wirken. Schließlich nickte sie.
    »Wir werden neues Geld verdienen«, wiederholte sie seine Worte und versuchte tapfer zu sein. Doch der Kloß, der in ihrem Hals steckte, war deshalb noch lange nicht verschwunden.
    Gawin lächelte sie an. »Komm jetzt.« Sanft zog er sie am Arm.
    Fast vorsichtig trat Anna aus ihrer Zelle. Bruder Adolfus lauschte gespannt, ob oben die Kellertür geöffnet wurde. Seine Angst entdeckt zu werden, war groß und machte ihn unruhig.
    »Ich bringe Euch noch bis zum Gang, danach müsst Ihr Euren Weg allein weitergehen.«
    Anna schluckte. Würde sie diesen Mönch, der ihr der einzige Freund in den letzten Wochen gewesen war, jemals wiedersehen? Die Sorge um ihn schnürte ihr den Hals zu.
    »Was ist, wenn Bruder Hermannus Euch dennoch auf die Schliche kommt?«
    »Der Herr ist groß und weise. Er allein bestimmt, was geschehen wird.«
    Seine Antwort beunruhigte Anna noch mehr. Wie konnte Adolfus nur glauben, dass Gott die Zeit hatte, sich um das Schicksal eines kleinen Mönches zu kümmern? Sie wollte etwas sagen, besann sich jedoch und schluckte die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, hinunter. Schweigend nickte sie.
    »Kommt jetzt!«
    Auf leisen Sohlen führte Adolfus die beiden an den aufgereihten Weinfässern vorbei, die sich links und rechts eines kleinen Ganges befanden, der in einer Arkadenwölbung vor einer gemauerten Wand endete. Anna blieb stehen und sah Adolfus fragend an. Hier gab es keinen Ausgang. Der Mönch musste sich getäuscht haben. Sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. Verzweifelt griff sie nach Gawins Hand.
    Doch Bruder Adolfus tastete mit den Fingern den Mauerbogen entlang, streckte sich dann in die Höhe und bekam einen kleinen Hebel zu fassen, den man, wusste man nicht, wo er sich befand, mit bloßem Auge nie entdeckt hätte. Er zog an ihm, worauf ein mechanisches Geräusch zu hören war, das sich an den Kellerwänden brach. Schon öffnete sich die Mauer vor ihren Augen wie von Zauberhand einen Spaltbreit. »Helft mir!« Bruder Adolfus zwängte sich in den Spalt und stemmte sich mit der Schulter gegen die Felstür, Gawin trat eilig hinzu und half ihm. Das knirschende Geräusch aufeinanderreibender Steine klang für Anna wie ein geplagtes Stöhnen. Vorsichtig hielt sie die Fackel vor sich und leuchtete in die Dunkelheit des Ganges hinein.
    »Vergesst nicht: Wenn der Gang sich teilt, wendet Euch zweimal nach links. Dann werdet Ihr bald wieder das Licht des Tages schauen können.«
    Anna schluckte schwer. »Habt Dank!« Obgleich sie wusste, dass es sich nicht schickte, trat sie zu Bruder Adolfus und umarmte ihn. »Auch wenn wir uns nie wiedersehen sollten, werde ich Euch immer in meinem Herzen bewahren.« Noch einmal drückte sie den Mönch an sich.
    Bruder Adolfus atmete tief durch. Wie sehr war ihm die junge Frau in den letzten Wochen doch ans Herz gewachsen. Seine kleine Schwester wäre heute etwa so alt wie sie gewesen, vielleicht ein bisschen älter. Doch Marie war tot. Tot, weil er zu schwach gewesen war, sie zu retten. Oder zu feige. Hätte er nur ein Fünkchen mehr Mut besessen, wäre Marie vielleicht noch am Leben. Es war viele Jahre her, dass sie auf dem zugefrorenen kleinen Weiher gespielt hatten. Ausgelassen waren sie über die noch viel zu dünne Eisschicht gerutscht, hatten sich im Kreis gedreht und gelacht. Dann war Marie ganz plötzlich verschwunden. Eingebrochen im Eis, ohne Vorwarnung, ohne Schrei. Sofort war sie mit dem Kopf unter Wasser gewesen. Und er selbst hatte nur dagestanden, unfähig sich zu rühren. Bis er um Hilfe

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