Die Duftnäherin
gesprochen, die es gebraucht hatte, um ihn zu Boden zu ringen und ihm sein Hab und Gut zu entreißen? Er wusste es nicht mehr, was ihn ärgerte. Denn es war eine Grundregel, sich die Geschichten, die man sich zurechtlog und anderen zum Besten gab, bis in die kleinste Einzelheit hinein zu merken. Das nächste Mal würde er vorsichtiger sein und nicht mehr so viel Bier dabei trinken. Andererseits waren seine Zuhörer ebenso betrunken gewesen wie er und hatten sich gewiss auch nicht alles merken können. Aber da war noch eine Sache gewesen, die ihm in diesem Moment nicht mehr einfallen wollte. Es war irgendetwas, was Egidius, der dicke Gewürzhändler, zu ihm gesagt hatte. Was war das gleich noch gewesen? Es hing damit zusammen, dass er Helme aufgefordert hatte, die Leute, die ihn überfallen hatten, zu beschreiben, so viel wusste er noch. Egidius hatte dabei etwas Drängendes in seiner Stimme gehabt, etwas Forderndes. Sein Gesicht hatte sich, während er sprach, grimmig verzogen. Nach und nach kam die Erinnerung zurück. Hatte Egidius nicht gefragt, ob die Angreifer Spitzhüte aufgehabt hätten? Ja, das war es gewesen. Helme hatte geantwortet, dass alles sehr schnell gegangen wäre und er dies nicht beschwören wolle, um niemanden fälschlicherweise der an ihm begangenen Schandtat zu beschuldigen. Aber er glaube, sich ganz dunkel daran erinnern zu können, dass einige der Angreifer tatsächlich solche Hüte getragen hätten. Erst jetzt, da Egidius es erwähnte, sei es ihm wieder eingefallen.
»Seht ihr!«, hatte Egidius gebrüllt und war von der Bank aufgesprungen. »Wie ich es euch allen immer sage. Es ist das Judenpack. Sie überfallen und berauben ehrbare Bürger, schleichen sich dann in unsere Städte und verleihen unser eigenes Geld für sündhaft hohe Zinsen wieder an uns zurück.« Er spuckte auf den Boden.
»Egidius’ Geschäfte laufen nicht mehr so gut, seit einige jüdische Händler Kräuter und Gewürze zu niedrigeren Preisen auf dem Markt anbieten. Er hat schon eine Menge Geld dadurch verloren«, hatte Albrecht, der Patrizier, bei dem Helme untergekommen war, ihm leise zugeraunt.
»Und was kann man da dagegen machen?«, hatte Helme herausfordernd gefragt.
Danach war eine Diskussion unter den Geschäftsleuten ausgebrochen, an die sich Helme nur noch bruchstückhaft erinnern konnte. Doch sein Instinkt sagte ihm, dass es sich lohnen könnte, an der Judensache dranzubleiben. Schließlich würde er seinen Gastgeber noch so lange hinhalten müssen, bis er dieses Drecksweib endlich gefunden hätte und es an den Haaren aus der Stadt schleifen könnte. In den Schänken, die er bisher aufgesucht hatte, war Anna jedenfalls nicht aufgetaucht. Und er musste stets sehr vorsichtig nach ihr fragen, um nur ja kein Aufsehen zu erregen. Denn die Geschichte vom ausgeraubten Kaufmann würde ihm wohl niemand mehr abnehmen, wenn er in der Stadt ganz offensichtlich nach einem bestimmten Mädchen suchte, anstatt hier seinen Geschäften nachzugehen.
Die Zeit lief auch so schon gegen ihn und würde die drei Männer um ihn herum, die ihm jetzt noch aus der Hand fraßen, misstrauisch werden lassen. Da könnte ihm die Sache mit den Juden als kleine Ablenkung nur recht kommen. Angesehene Bürger davon zu überzeugen, sich gegen die Juden auflehnen zu müssen, würde ihre Aufmerksamkeit von ihm ab- und auf Letztgenannte hinlenken. Das war genau das, was Helme brauchte.
Ungeachtet der Kopfschmerzen, die wieder wütend gegen seine Schädelwand pochten, erhob er sich aus dem weichen Bett. Er würde Egidius am besten gleich aufsuchen und ein bisschen mit ihm plaudern. Bei dem Hass, den er gestern in den Augen des Patriziers hatte lodern sehen, würde es ihm sicher ein Leichtes sein, den ein oder anderen giftigen Samen in ihm zu säen und dessen Judenhass weiter heranwachsen zu lassen.
»Helme von Minden, welche Freude!«, begrüßte der Gewürzhändler ihn, als er auf einen Wink des Dieners dessen Kontor betrat. Egidius war hinter seinem Schreibpult hervorgetreten und kam mit ausgestreckten Armen auf seinen Gast zu. »Was verschafft mir die Ehre?«
»Egidius, mein Freund! Ich wollte nur sehen, ob Euch das Bier auch so zusetzte wie mir. Man könnte meinen, Ihr wolltet einen von Minden mit diesem Gebräu möglichst rasch dem Herrn überstellen.«
»Aber, aber.« Egidius deutete auf einen Lederstuhl, der vor dem massiven Holztisch stand, an dem er gearbeitet hatte. »Vielleicht hätten wir Euch warnen sollen. Schon oft hörten wir,
Weitere Kostenlose Bücher