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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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wie unwohl sich Anna in ihrer Haut fühlte und dass sie am liebsten wohl auf und davon gesprungen wäre.
    »Ich bin froh, dass wir darüber gesprochen haben«, beendete Margrite deshalb das Gespräch. »Es ist mir einerlei, ob du Gawin von unserer Unterredung berichten möchtest. Von mir jedoch wird niemand etwas erfahren. Nicht einmal Anderlin.«
    Hoffnung keimte in Anna auf. »Du wahrst mein Geheimnis?«
    Margrite nickte und nahm sie bei der Hand. »Selbstverständlich. Wir alle haben Dinge erlebt, Anna, von denen wir nicht möchten, dass sie jemand erfährt. Ich weiß nun genug, um dich schützen zu können, sollte dein Vater hier in der Stadt auftauchen. Mehr braucht es nicht.«
    Doch obwohl sie nun erleichtert hätte sein müssen, wollte die Beklemmung nicht von Anna weichen.
    »Ich würde gern ein wenig für mich sein, wenn du nichts dagegen hast.«
    »Natürlich nicht. Geh nur. Ich werde später noch zum Markt gehen. Möchtest du mich begleiten?«
    Anna stand vom Tisch auf und schob ihren Stuhl gerade. Sie fühlte sich plötzlich unendlich müde und glaubte, ihre Beine würden jeden Moment nachgeben. »Ich möchte dich begleiten«, sagte sie gedankenverloren.
    Margrite wollte noch etwas sagen, fand aber nicht die richtigen Worte. Schweigend verfolgte sie, wie die Jüngere die Küche verließ und leise die Tür zu ihrer Kammer hinter sich schloss.

    »Findest du nicht, dass der Meister heute noch einmal abwesender wirkt als sonst?«
    Gawin schaute nur kurz auf und folgte Hannos Blick in die angrenzende Werkstatt, in der das fortwährende Grummeln und Gemurmel Jordans zu hören war.
    »Ja, es ist schlimmer geworden«, stellte auch er fest. »Weißt du, was mir daran echte Sorgen bereitet?« Ohne Hannos Antwort abzuwarten, erklärte er: »Was, wenn er eines Tages sogar vergisst, dass ich sein Lehrjunge bin? Es gibt noch kein Schriftstück, das meine Arbeit hier bestätigt. Womöglich werde ich Jahr für Jahr hier arbeiten und doch niemals Lehrjunge werden, weil mein Meister schlichtweg vergessen hat, dass es mich gibt.«
    »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, gestand Hanno. »Du solltest mit Anderlin darüber reden. Gewiss wird er eine Möglichkeit finden, mit Jordan darüber zu sprechen. Die beiden kennen sich schon fast ihr ganzes Leben lang.«
    Mit kräftigen Bewegungen sägte Gawin ein Stück Holz ab. Seine Miene war düster. Hanno legte sein Stemmbeil beiseite und kam zu ihm herüber.
    »Aber allzu viele Gedanken würde ich mir jetzt auch wieder nicht machen. Bisher hat er dich noch immer erkannt. Nur meine Nase«, er tippte mit dem Finger gegen sein Riechorgan, »die kann er sich beim besten Willen nicht merken.«
    Gawin ließ die Säge sinken. »Ich will nicht undankbar erscheinen. Die Möglichkeit, die Jordan mir geboten hat, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt.« Er seufzte. »Doch ich muss auch an die Zukunft denken. Schon jetzt habe ich einen Großteil der Arbeit übernommen. Das mache ich zwar gern. Aber eines Tages möchte ich Geselle werden und später sogar Meister.« Seine Stimme nahm einen schwärmerischen Ton an. »Ich möchte, dass alle Bremer und auch die Menschen weit über die Stadtgrenzen hinaus von dem Holzkünstler Gawin sprechen, der es vermag, die wunderbarsten Dinge herzustellen. Ich möchte Madonnen schnitzen und Säulen verzieren. Die Bürger sollen auf meinen gedrechselten Stühlen sitzen, ihre Kleidung in meinen Truhen verstauen und bei jeder Berührung ihre Schönheit und Zweckmäßigkeit bewundern. Außerdem die handwerkliche Leistung bestaunen.«
    Hanno schmunzelte. »Du hast dir viel vorgenommen.«
    Gawin fuhr merklich zusammen. Hielt Hanno ihn etwa für einen Aufschneider, einen nichtsnutzigen Gernegroß? Er suchte den Blick des Freundes. »Glaubst du vielleicht, ich kann das nicht?«, fragte er mit herausfordernder Stimme.
    Beschwichtigend legte Hanno ihm die Hand auf die Schulter. »O doch, dir traue ich das zu! Aber es wird einen langen Atem brauchen, um dein Ziel zu erreichen. Du wirst außerdem viel und hart dafür arbeiten müssen.«
    Gawin nahm die Säge wieder zur Hand. »Viel Arbeit habe ich noch nie gescheut.«
    Von draußen waren laute Stimmen zu vernehmen. Vorsichtig lugte Jordan um die Ecke seiner Werkstatt. »Was ist da los?«
    »Ich werde nachsehen gehen, Meister«, bot sich Gawin an. Auch Hanno stand auf und trat hinter ihm auf die Straße hinaus. Beschimpfungen und Gebrüll drangen aus dem inneren Kreis einer Menschentraube zu ihnen

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