Die Dunkelgräfin: Das Geheimnis um die Tochter Marie Antoinettes (German Edition)
dunkler geworden. Sie trägt sie normalerweise ohne Puder und nach hinten gebunden.« 22
Aus Marie Thérèse, die in den letzten Jahren immer nur als »Tochter von Louis Carpet« oder »Tochter des Tyrannen« tituliert worden war, wurde wieder die Tochter Louis’ XVI., aus der die Presse eine romantische Heldin machte, die unschuldig im Temple sitzend ihr trauriges Schicksal beweint. Die königstreue Presse, die im Sommer 1795 wieder sehr einflussreich geworden war, benutzte dieses Klischee natürlich als Werbung für die royalistische Sache.
Es gäbe keinen Franzosen, der nicht mit ihr fühle und ihr Schicksal betrauere, heißt es in einem Brief vom 22. 8. 1795, der für Marie Thérèse an Madame de Chanterenne übergeben wurde. Es gäbe genügend Menschen, die ohne zu zögern ihren Kopf auf die Guillotine legen würden, wenn es darum ginge, sie vor weiterem Unheil zu beschützen. 23
Dabei gab es durchaus Beschwerden von Bürgern über die Kosten, die das Leben der ehemaligen Prinzessin verursachte, während andere meinten, dass man in diesem besonderen Fall keine Kosten scheuen dürfe. In den Pariser Salons war das Schicksal Marie Thérèses das große Thema, die Damen diskutierten unter anderem darüber, ob sie eine Perücke trüge oder nicht.
Sobald es sich herumgesprochen hatte, dass Marie Thérèse die Erlaubnis hatte, im Garten spazieren zu gehen, mieteten viele Adlige, unter anderem Madame Cléry und auch der ehemalige Kammerdiener Hue, Zimmer in den umliegenden Häusern. Von dort konnte man Marie Thérèse im Garten beobachten. Diesem Beispiel folgten andere Royalisten, und bald schon waren die Fenster in der Rue de la Corderie und der Rue de Beaujolais jeden Tag mit Zuschauern besetzt. Man spielte von hier aus Musik für sie, man deklamierte extra für sie gedichtete Verse oder sang Lieder, in denen ihre Unschuld und ihr tragisches Schicksal thematisiert wurden:
»Die Tochter unserer Könige ist eine Schäferin,
Eine Ziege bildet ihren Hof;
Sie hat die Kunst zu gefallen bewahrt;
Sie ist immer noch Königin der Liebe;
Blumen geben ihr die Krone zurück,
Blumen sind ihr Zepter,
Ein Stück Rasen bildet ihren Thron,
Und ihr Reich liegt in unseren Herzen.« 24
Diese Vorstellungen hatten einen doppelten Zweck: Sie sollten Marie Thérèse unterhalten, ihr aber auch nötige Informationen über ihr Schicksal geben. Durch folgende Komposition von Lepitre, einem ehemaligen Bediensteten des Königs, erhielt sie die Information, dass man sie nach Österreich ausliefern wolle:
Tröstung
»Sei beruhigt, du junge Unglückliche:
Bald schon werden sich diese Pforten öffnen;
Bald schon von deinen Fußfesseln befreit,
Wirst du den klaren Himmel genießen;
Wenn du aber diesen finsteren Ort verlässt,
Wo Trauer und Entsetzen,
Denke wenigstens daran, dass hier
Herzen zurückbleiben, die dir würdig sind.« 25
Von einem der Fenster der umliegenden Häuser aus wurde auch das berühmte Teleskopbild von Marie Thérèse durch den Marquis de Parrois gemalt, das einzige authentische Porträt, das wir von Marie Thérèse aus diesen Tagen haben. 26
Die Polizei beobachtete diese Treffen zwar misstrauisch, ließ sie aber zunächst zu. In den Monaten August und September 1795 trafen sich hier neben Anhängern der absoluten Monarchie auch solche der konstitutionellen Königsherrschaft; es waren Adlige und Bürger gleichermaßen, vereint in der romantischen Verklärung der Tochter ihres früheren Königs.
Und immer wieder wurden Forderungen nach einer Freilassung Marie Thérèses laut:
»Oh, ihr unsere Gesetzgeber!
Wollt ihr, dass wir euch lieben?
Wollt ihr unsere Herzen gewinnen?
Lasst daher Gerechtigkeit widerfahren
Der Tochter von Louis,
Gefangene in Paris.« 27
Sowohl Madame de Tourzel als auch ihre Tochter schreiben, dass Marie Thérèse getreu ihrem Versprechen an den Vater niemals ein Gefühl von »Schärfe« gegenüber den Verursachern ihrer Leiden geäußert habe, sie hatte Mitleid mit ihnen und allen anderen Franzosen, die unter ihnen leiden mussten.
Und während Madame de Tourzel nur den einen Wunsch hatte, dass die Königstochter so schnell wie möglich das Land verlassen solle, hatte Marie Thérèse keine solchen Zukunftspläne: »Ich empfinde noch Trost, wenn ich in dem Land lebe, in dem die Asche der Menschen ruht, die ich am liebsten auf der Welt hatte … Ich würde glücklicher sein, wenn ich ihr Schicksal teilen könnte, als dass ich verdammt bin, sie zu beweinen.« 28
Die offizielle Version:
Madame
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