Die Dunkelheit in den Bergen
Weihermühle an und fandet vor, was wir eben mit eigenen Augen sehen mussten.
Der Landammann und sein Statthalter nickten beide – genau so war es! –, der Hauptmann blickte auf die vollgeschriebenen Papierbögen, während der Doktor die Ärmel seines Hemdes wieder nach vorne krempelte.
Bis auf den Knecht waren die anderen Zeugen bereits verschwunden, fuhr der Baron fort, sie wollten wohl die Nachricht schnell verbreiten. Trotzdem werden wir sie persönlich befragen müssen, den Mann aus Sculms, die Frau aus Rhäzüns, die Mäher aus Bonaduz. Was für Schlüsse lassen sich aus dem Zustand der Opfer ziehen?
Ein großer Teil der Wunden, sagte Doktor Gubler, ist ihnen wohl mit dieser Axt zugefügt worden. Die Stichwunden hingegen weisen eine auffällige dreieckige Form auf und stammen vermutlich alle von derselben Waffe ab.
Dreieckig, kein Messer also. Ein Dolch? Ein Degen?, fragte der Verhörrichter.
Der Doktor hob ratlos die Schultern.
Der Baron wurde lauter: Da der verdächtige Franz Rimmel Ausländer ist, unterliegt dieser Mordfall der Zuständigkeit des kantonalen Verhörrichteramts. Es wird umgehend einen Steckbrief ausstellen und die Verfolgung des Verdächtigen aufnehmen. Der Statthalter wird sich um die Bestattung der Opfer kümmern. Bei dem warmen Sommerwetter duldet dies keinen Aufschub. Sämtliche in der Mühle vorhandenen Wertgegenstände und Schriften werden von uns eingezogen und für die Untersuchung und Nachlassverwaltung aufbewahrt. Wir werden später die Heimatgemeinden anschreiben. Bis auf weiteres soll der Knecht in der Mühle nach dem Rechten schauen und sich um das Vieh kümmern.
Der Baron bat den Hauptmann, ein großes Behältnis aufzutreiben, eine Kiste, einen Korb, notfalls einen Getreidesack. Hauptmann Vieli fand einen leeren Koffer. In der Stube entdeckten sie neben dem Ofen einen kleinen Wandschrank. Das Türchen war mit Gewalt aufgerissen worden. Der Verhörrichter wies auf das zersplitterte Holz des Täfers hin. Neben einigen anderen Schriftstücken fanden sie darin das Gesellenbuch des Müllers. Hauptmann Vieli folgte dem Baron, der nacheinander die Räume durchsuchte und Schriftstücke und Wertsachen einsammelte, Heimatschein, Briefe, Abrechnungen, und alles in den Koffer legte.
Darauf verließen sie die Räume. Unter der Treppe war das Brennholz wieder ordentlich gestapelt. Allerlei Volk aus Bonaduz stand auf der Wiese und wartete. Es wartete darauf, dass das Mühlrad sich wieder drehte und das Leben weiterging.
Geht nach Hause, es gibt hier nichts zu sehen!, rief der Verhörrichter von der Treppe herunter. Wer etwas über den Verbleib des Tirolers Franz Rimmel in Erfahrung bringt oder zufällig vernimmt, soll umgehend beim Landammann oder seinem Statthalter Bericht erstatten.
Die Leute entfernten sich, und der Baron schaute zum Rand der Lichtung hoch, dorthin, wo der Bach unter den dunklen Tannen ans Sonnenlicht sprudelte. Er überlegte kurz, den Wald mit den Männern nochmals zu durchkämmen, verwarf den Gedanken aber wieder. Sie waren zu wenige, außerdem nicht bewaffnet. Stattdessen fragte er den Landammann, wo sie sich in Ruhe an einen Tisch setzen könnten, um das weitere Vorgehen zu besprechen und sich gleichzeitig zu stärken. Irgendwo anders als an diesem unseligen Ort.
Im Wirtshaus bei der Post, sagte der Landammann, in Bonaduz.
35 Die drei Gespanne fuhren dicht hintereinander. Vorneweg die schwarze Karosse des Verhörrichters, dann der Leiterwagen mit den in Tüchern gewickelten drei Leichen und zuletzt die Chaise von Landammann Locher. Auf der kurzen Fahrt sprach niemand. Jeder hing seinen Gedanken nach und versuchte auf seine Weise, die Ereignisse zu verstehen und einzuordnen.
Bevor sie um die Biegung verschwunden waren, blickte der Landammann noch einmal zurück und sah den Knecht, der immer noch vor der Weihermühle auf der Wiese stand und ihnen hinterherschaute. Der Landammann dachte, dass er nicht mit dem Knecht hätte tauschen wollen, der allein in der Mühle zurückbleiben musste. Er war froh, dass er den kantonalen Verhörrichter um Hilfe gebeten hatte. Nun lag die Verantwortung in dessen Händen. Vor dem Landammann rollte der Leiterwagen. Der Wagen war nicht gefedert und der Weg holprig. Die drei Leichen in den Tüchern ruckelten nebeneinander. Auf den länglichen Paketen zeigten sich Blutflecken.
Der Statthalter auf dem Bock wurde ebenfalls durchgerüttelt. Christian Fetz konnte sich nicht erklären, was in der Mühle vorgefallen war. Was er gesehen
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