Die Dunkelheit in den Bergen
verletzt waren –
Doktor Gubler untersuchte sorgfältig, drehte den Leichnam auf die Seiten und auf den Bauch, um nichts zu übersehen. Am Körper des Müllers fand er insgesamt achtzehn Hieb- oder Stichwunden, die ihm mit mindestens zwei verschiedenen Waffen zugefügt worden waren. An Annamaria Gartmann fand er acht ähnliche Verletzungen. Dann holte der Doktor weiteres chirurgisches Besteck aus der Tasche und öffnete, zum Entsetzen des Landammanns und des Statthalters, mit einem Skalpell den Bauchraum der jüngeren Magd. Sie wandten sich ab und gaben sich der Betrachtung der Kornsäcke hin. Nach einigen Minuten diktierte Doktor Gubler: Nach fortgesetzter Untersuchung zeigte sich, dass diese Unglückliche eine Leibesfrucht, weiblichen Geschlechts, vom 3.– 4. Monat trug . Dasselbe Procedere wiederholte er bei Franziska Giesser und diktierte: An dieser am gröblichsten misshandelten Person zeigten sich äußerlich 18 tiefe beträchtliche Hieb, Stichund Schnittwunden. Nach fortgesetzter Untersuchung zeigte sich, dass auch diese Unglückliche eine Leibesfrucht, männlichen Geschlechts, vom 5.– 6. Monat trug .
Fünffacher Mord, stellte der Baron fest.
Schritte waren auf der Treppe zu hören, laute Stimmen, dann öffnete Hostetter die Tür und meldete: Eine Waffe ist gefunden worden.
Der Knecht stürzte mit einer blutverschmierten Axt herein und legte sie auf den Tisch. Die Axt vom Franzisk!, sagte er aufgebracht.
Am Eisen und am Holzstiel klebte dunkles, eingetrocknetes Blut. Wo hat er sie gefunden?, fragte der Verhörrichter.
Unter dem Brennholz!, behauptete der Knecht.
Baron von Mont wandte sich an Hostetter: Hat er eine Axt gesehen, als er vorhin den Leichnam abgedeckt hat?
Nein.
Oder hat er beobachtet, wie der Knecht die Axt unter dem Brennholz gefunden hat?
Hostetter schüttelte den Kopf. Der Knecht ist eben aus dem Stall gekommen.
Mit der Axt in der Hand?, fragte der Verhörrichter.
Hostetter war unsicher: Das habe ich nicht sehen können, erst als er vor mir stand –
Und Ihr, Herr Doktor, habt Ihr vorhin eine Axt gesehen?
Nein.
Und wieso glaubt er, fragte der Verhörrichter den Knecht, dass das hier die Axt des Genannten ist?
Ganz sicher ist sie das, der abgesägte Stiel, so eine hat nur der Franzisk, Holz hacken kann man damit nicht.
32 Während Hostetter die Tür bewachte, war Rauch die Stufen hinuntergegangen, darauf bedacht, nicht in die eingetrockneten Blutstropfen zu treten. Nun stand er zwischen Mühle und Stall unbeholfen auf der Wiese und wurde Bestandteil des sommerlichen Landschaftsbildes.
Was um ihn herum und mit ihm geschah, konnte er weder einordnen noch verstehen. Die Jahre in den Niederlanden waren friedliche Jahre gewesen. Ein eintöniges Soldatendasein, exerzieren, marschieren, warten, essen, schlafen, exerzieren, warten, essen, Ausrüstung putzen, Kasernenhof wischen, warten. Warten war die Hauptbeschäftigung eines Soldaten. Warten und auf den Ernstfall gerüstet sein. Dann kam er nach Hause, lernte auf dem Heimweg eine nette Magd kennen, landete aus Versehen im Gefängnis, fand am nächsten Tag die Magd entstellt und ermordet und war nun selbst in die polizeiliche Arbeit verwickelt, alles in kürzester Zeit, an einem unwirklichen Ort, wo Sonnenschein und Sommerwind ihm eine trügerische Idylle vorgaukelten. Er hatte noch gar nicht die Zeit gehabt, in seiner Heimat anzukommen.
Hostetter stand vor der Haustür und betrachtete Rauch, der verloren auf der Wiese stand. Rauch ließ sich auch jetzt nichts anmerken, aber unter der Oberfläche seiner starren Miene arbeitete es, Hostetter kannte ihn gut genug. Er wusste nicht, was er ihm sagen sollte. Sonst hatten seine sarkastischen Bemerkungen auch in misslichen Situationen geholfen. Das half hier nicht weiter. Der Anblick der drei Toten, die sie in den Vorraum tragen mussten, hatte auch Hostetter erschreckt und in eine Alarmbereitschaft versetzt. Es fühlte sich an, als könnte ihn aus dem Nichts etwas anspringen, aus dem saftigen Gras um sie herum, aus dem finsteren Gesicht des Knechts, der vor der Mühle stand und wartete. Hostetter wusste nicht, was der Verhörrichter und der Doktor da drinnen taten. Er erwartete aber von ihnen, dass sie als Obrigkeit die Dinge wieder zurechtrücken würden. Die Welt hatte sich verschoben, einen Riss bekommen, sie war verrückt, durch eine unsichtbare und unheimliche Naturgewalt, eine böse Kraft, die drei Leute hingemetzelt und den Stapel Brennholz umgeworfen hatte. Jemand musste das
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