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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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Wiehern, es war ein gellendes Brüllen in höchster Not und Angst gewesen. Er hatte sich plötzlich allein wiedergefunden, in den Ästen eines Baums verfangen, der vom Ufer ins Hochwasser hing und ihn vor dem Ertrinken gerettet hatte, aber nicht davor, allein durch eine ihm unbekannte Gegend zu irren.
    Das war lange her. Dreiundzwanzig Jahre. Und trotzdem dachte er immer wieder daran. Nicht nur an den Unfall mit der Kutsche. Was in den Tagen darauf folgte, war schlimmer. Aber nun schien die Sonne, es drohte kein Gewitter (wenn es auch in diesem Jahr wieder starke Unwetter gegeben und das Hochwasser des Rheins großen Schaden angerichtet hatte). Der Baron verspürte dennoch das starke Bedürfnis, bald nach Chur zu fahren. Nach Hause. Der Nachmittag ging zu Ende, in wenigen Stunden würde es dämmern und die Nacht hereinbrechen. Er wollte sich in Ruhe und in seiner gewohnten Umgebung überlegen, was nun zu tun war. Die beiden Landjäger Venzin und Ar-pagaus waren inzwischen vielleicht von der Verfolgung der zwei Weiber zurück. Er brauchte die Landjäger dringend für die Fahndung. Wachtmeister Caviezel wurde in Chur gebraucht. Sonst hatte der Baron nur noch den Landjäger Majoleth, mit dem er die Spur des flüchtigen Franz Rimmel verfolgen konnte. Majoleth war nicht der Schlaueste. Und was für eine Spur überhaupt? Der Tiroler konnte in viele Richtungen geflohen sein. Wie sollten sie ihn zu zweit finden?
    Gleich würden sie in Bonaduz sein. Dann musste sich der Verhörrichter entscheiden. Nach Chur zurückzukehren war ein Zeitverlust. Rimmels Vorsprung würde noch größer werden.
    36 Auf dem staubigen Platz vor der Post standen viele Saumpferde, Maultiere und Maulesel, auf ihren Rücken Packsättel mit Kisten, Körben und Fässern. Parallel zur Straße reihten sich die Gespanne in zwei entgegengesetzten Kolonnen hintereinander. Die einen kamen von Italien her, von Thusis und durch das Domleschg, und wollten rheinabwärts nach Chur und weiter nach Deutschland oder Österreich. Die andere Kolonne wies in umgekehrter Richtung nach Süden, wollte nach Thusis, dann weiter den Hinterrhein hoch und über den Splügenpass oder den Sankt Bernhardin nach Italien. Oder durch die Schiinschlucht nach Tiefencastel und über Savognin, Bivio und den Julierpass ins Engadin. Das Wirtshaus bei der Bonaduzer Post war als Rastplatz beliebt. Hostetter bog in die Domleschger Straße ein und sah als erster, dass der Platz überfüllt war. Der Statthalter und der Landammann folgten mit ihren Wagen dicht auf. Vor dem Wirtshaus hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Hostetter ließ die beiden Rappen mitten auf der Straße anhalten. Er erhob sich auf dem Kutschbock, sah aber keine Möglichkeit, mit den drei Wagen auf den Platz zu fahren. Der Baron, der Doktor und der Hauptmann stiegen aus und gingen nach hinten.
    Hostetter schickte Rauch hinterher, er solle nachschauen, was da los sei.
    Der Landammann und der Hauptmann waren nicht zimperlich, als sie sich einen Weg durch die Menge bahnten und die Männer zur Seite schubsten. Vor dem Wirtshaus stand ein Wagen mit einem Gitterkäfig. Rauch erkannte ihn gleich wieder. Der Mann mit dem großen Schnauzbart trug mit dem Bären einen Ringkampf aus. Seine Tochter klopfte auf eine Schellentrommel und sang dazu. Seine rundliche Frau hatte die Röcke in die Höhe gerafft. Ihre dicken nackten Beine und die schmutzigen Füße, die in den Staub stampften, zogen mindestens soviel Aufmerksamkeit auf sich wie der Bär. Der Grund für die gerafften Röcke waren die Münzen, die sie damit auffing. Dazu schrie sie mit schriller Stimme und einem eindrücklichen Augenaufschlag: Kampf weitergeht? Eine Meeglichkeit!
    Münzen flogen ihr zu, und sie hob den Rock höher als nötig war, um sie aufzufangen. Bluzger, Kreutzer, Rappen, Münzen aus aller Herren Länder.
    Kampf weitergeht? Eine Meeglichkeit!
    Die Familie hatte offensichtlich einen Weg in den Kanton gefunden. Das war auch nicht weiter schwierig. Der Bär stand auf den Hinterbeinen, wurde vom Schnauzbärtigen umarmt und gab missmutige Laute von sich. Rauch wusste, dass das Tier keine Zähne und Klauen hatte. Matt und lustlos schlug es dem Mann mit den Tatzen auf die Schulter. Es sah eher nach einem Tänzchen aus als nach einem Kampf. Einige der Schaulustigen waren beeindruckt von dem Tier. Wann sah man schon einen lebendigen Bären aus nächster Nähe? Andere hatten die vorgetäuschte Gefährlichkeit aber durchschaut, spotteten und riefen dem Mann zu,

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