Die Dunkelheit in den Bergen
er solle mit seiner Frau kämpfen, ihre Krallen seien schärfer.
Der Baron blickte verdrießlich zum Landammann und seinem Statthalter. Diese wussten natürlich auch, dass solche Aufführungen verboten waren. Hier war das Gebiet der Gerichtsgemeinde Imboden, und Landammann Locher repräsentierte das Gesetz. Er brüllte dann auch gleich los: Aufhören! Schausteller mit Tieren sind bei uns verboten!
Die Tochter schien ihn als einzige zu verstehen. Sie hörte auf zu trommeln und zu singen und verzog sich hinter den Gitterwagen. Die Frau stellte sich vor den Landammann und schenkte ihm einen besonders betörenden Augenaufschlag: Kampf weitergeht? Eine Meeglichkeit!
Nichts da! Aufhören!, rief Locher.
Einige der Fuhrleute und Säumer murrten oder grölten verärgert. Die Einheimischen, die den Landammann kannten, hielten sich zurück.
Der ungarische Habsburger schien den Landammann nicht verstanden zu haben. Er nahm die Zwischenrufe als Anfeuerung und begann herzzerreißend zu stöhnen, als gehe es um Leben und Tod. Der Bär war aufgebracht und brummte, als der Schnauzbärtige versuchte, ihn auf den Rücken zu werfen und den Sieg des Menschen über das Vieh zu demonstrieren.
Macht dem Schauspiel ein Ende, sagte der Baron zum Landammann. Dieser war verunsichert. Was sollte er tun? Verlangte der Baron, dass er mit bloßen Händen einschritt und die Kämpfenden trennte?
Rauch zögerte nicht. Er ging zu dem Paar, das in enger Umarmung verschlungen war, packte den Bär am Nackenfell und riss ihn von dem Mann fort. Er zerrte ihn zum Gitterwagen und über die mit einer Holzkiste improvisierte Stufe hinauf. Die Frau des Ringers empörte sich laut in einer unverständlichen Sprache. Rauch staunte darüber, wie es hinter den verschlissenen Vorhängen im Gitter-wagen aussah: Bett, Stuhl, Spiegel, eine große Truhe und Kleiderstücke, die über einer Leine hingen. Ein seltsamer Bärenkäfig, dachte er, als er die Gittertür zuschlug und den Riegel vorschob.
Das Wirtshaus bei der Post in Bonaduz war denkbar ungeeignet, um sich in Ruhe über den Mordfall zu beraten. Hauptmann Vieli bestand darauf, dass sie sich zum Schloss Rhäzüns begaben. Sein Vater war dort Verwalter.
Hostetter saß auf dem Kutschbock und konnte nicht sehen, was da drüben inmitten der Menschenmenge vor sich ging. Es dauerte ihm zu lange, er war neugierig, wollte aber das Gespann nicht mitten auf der Straße stehen lassen. Nach einer Ewigkeit, wie es ihm schien, kamen der Baron und seine Begleiter zurück.
Der Landammann fährt mit dem Doktor nach Chur, gab der Baron Bescheid. Wir fahren weiter nach Rhäzüns. Der Statthalter fährt voraus, er kennt den Weg.
Der Baron stieg ein, Rauch kletterte auf den Bock. Sie ließen sich vom Leiterwagen überholen und folgten ihm. Auf der Fahrt berichtete Rauch vom Bären und den Schaustellern, die sie an der Grenze schon einmal getroffen hatten. Der Landammann und der Doktor würden das Pack nun nach Chur geleiten. Von dort würden sie zurück an die Grenze gebracht. Falls sie den Boden des Kantons noch einmal betraten, würden sie Rutenhiebe und das Gefängnis erwarten.
Der Leiterwagen fuhr ihnen voraus. Die drei Körper auf der Ladefläche wurden wieder durchgerüttelt. Die alten Blutflecken auf dem Leinen waren braun eingetrocknet.
Neue rote Flecken kamen dazu.
Wo fahren wir hin?, fragte Hostetter.
Nach Rhäzüns, sagte Rauch, zum Schloss.
37 Die Fahrt dauerte nur kurz. Das Schloss stand am Rand einer Ebene, von der die Felsen steil zum Rhein hinunter fielen. Während die Gespanne auf der Grabenbrücke vor dem äußeren Tor warteten, klopfte Hauptmann Vieli kräftig an und schlüpfte durch den Spalt, der sich ihm nach einer Weile geöffnet hatte. Stimmengemurmel war hinter den Mauern zu hören. Hostetter und Rauch blickten auf die drei Leichname vor ihnen. Drei große weiße Leinenkokons.
Es dauerte nicht lange, bis sich die Torflügel öffneten und die beiden Gespanne in den Schlosshof fahren konnten. Im Hof war Baron von Mont mit dem Schlossherrn in ein Gespräch verwickelt.
Der Vater des Hauptmanns, Georg Anton Vieli, war trotz seiner sechsundsiebzig Jahre ein rüstiger Mann. Über die Hälfte seines Lebens hatte er als Verwalter auf Schloss Rhäzüns verbracht. Die meiste Zeit für die Habsburger Monarchie, ein paar wenige Jahre unter Bonaparte für die Franzosen. Der Wiener Kongress hatte das Schloss und die zugehörigen Ländereien nun dem Kanton Graubünden zugesprochen. Vor zwei Jahren erst war das
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