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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Huonder
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mehrmals, dann bestätigte er eigenhändig mit seiner Unterschrift: Christian Beatfidel Coray.
    Dem jungen Mann wurde über die beschriebenen Vorgänge Stillschweigen auferlegt, und nachdem er aus der Ratsstube entlassen wurde, war es Zeit für das Mittagessen. Die Kommission begab sich in die Wirtschaft Zur Post, wo ein großer Tisch reserviert war.
    52 Inzwischen brannte die Sonne heiß vom Himmel. Während Rauch auf die Pferde und auf den Gefangenen aufpasste, ging Hostetter in das Wirtshaus neben der Poststation von Andeer und ließ vom Wirt Verpflegung herausbringen. Rimmel saß an einen Baum gelehnt im Schatten. Einige Schaulustige fanden sich ein und gafften neugierig. Rauch sorgte dafür, dass sie genug Abstand hielten. Als der Wirt das Essen brachte, reichte Hostetter einen Napf Suppe an Rimmel weiter. Dieser versuchte, mit den gefesselten Händen den Löffel zum Mund zu führen, aber es gelang ihm nicht. Rauch knüpfte die Fesseln auf und band die linke Hand so nah am Fußgelenk fest, dass Rimmel zwar die Suppe löffeln, aber nicht aufstehen konnte.
    Iss, rief ihm Hostetter zu. Du musst noch bis zum Galgen marschieren, und der steht in Chur. Ein weiter Weg. Gleich kommt noch eine tiefere Schlucht. Einfacher wär’s ja, fügte er an Rauch gerichtet hinzu, ihm gleich hier den Kopf abzuschlagen.
    Hostetter bezahlte das Essen, ließ es sich vom Wirt quittieren, dann brachen sie auf. Rauch band Rimmel die Hände zusammen, dann stieg er selbst in den Sattel und führte Rimmel am Strick hinter sich her. Sie kamen an Pignia Bad vorbei, dann an Zillis. Die Bauern im Schamser Tal nutzten die Schönwetterperiode und waren von früh bis spät auf den Wiesen. Es duftete nach trockenem Heu. Unter den Hufen stieg Staub auf, aber den Reiter störte das nicht. Hostetter war mit sich und der Welt zufrieden. Er hielt die Zügel locker in der linken Hand, die rechte ließ er neben dem Sattel baumeln. Eine Stunde hinter Andeer erreichten sie die erste Brücke der Via Mala.
    Hostetter und Rauch hatten vom Schlechten Weg gehört, wie jeder in Graubünden. Sie waren ihn aber noch nie selbst gegangen. Der Rhein hatte sich hier so tief in die engstehenden Berge gegraben, dass kaum Platz war für eine richtige Straße. Jahrhundertlang konnte man nur zu Fuß oder mit einem Saumtier die Schlucht durchqueren. Manches Pferd und mancher Säumer waren dabei ins Rutschen geraten oder gestolpert und hinabgestürzt, wo sich nur die Krähen und Dohlen um ihre Überreste kümmerten. Es war ein gefährlicher Gang, auf der einen Seite gähnte der Abgrund, von der anderen Seite drohte der Steinschlag. Seit drei Jahren aber wurde nun an der neuen Straße gebaut. Landjäger Foppa hatte am Abend zuvor davon erzählt. 1816, als sie alle hungerten, mussten sie monatelang auf die Einfuhr von Getreide aus den italienischen Häfen warten. Das bewog die Regierung von Graubünden, endlich ernsthaft über den Ausbau der Alpenstraßen nachzudenken. Das Königreich Sardinien war daran interessiert, die Route zwischen Genua und Deutschland zu verbessern und den Sankt Bernhardin befahrbar zu machen. Die Österreicher wollten den Splügenpass als Verbindung zwischen Venedig und der Alpennordseite. Nach jahrelangem Streit wurden beide Straßenprojekte beschlossen und in Angriff genommen. Die Straße zwischen Splügen und Chur wurde dabei auch erneuert.
    Der Anblick war schwindelerregend. Tief unter ihnen schossen die Wassermassen durch den Felsspalt, schäumten bei jedem Hindernis auf, ließen die Gischt hochsteigen und füllten die Schlucht mit einem feinen kühlen Nebel. Der Weg war in den Stein gesprengt worden, stellenweise mit Baumstämmen gesichert, die im Fels steckten und mit Steinplatten und Schotter bedeckt waren. An einigen Stellen schützte ein Holzgeländer vor dem Sturz in die Tiefe. Der Weg war aber sehr schmal. Rauch zog es vor, den Freiberger am Zügel zu führen. Hostetter schienen die Abgründe zu faszinieren. Er machte keine Anstalten abzusteigen. Mehrmals mussten sie warten, bis ein Wagen oder eine Saumkolonne mit beladenen Tieren an ihnen vorübergezogen war.
    Rimmel hatte keine Augen für die Naturgewalten. Er blickte vor sich auf den Boden und schien nicht zu bemerken, wie tief sich der Boden gleich neben ihm auftat. Rauch staunte mit offenem Mund. Was er hier sah, übertraf alle Vorstellungen, die er von der Via Mala gehabt hatte.
    Etwas anderes als Holland!, rief Hostetter gegen das Rauschen an, das zwischen den Felswänden nach oben

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